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Es ist schon nach 21:00 Uhr, als mich die Schnellfähre „Silvia Ana“ nach nur 2 ½ Stunden Fahrt vom dänischen Hirtshals in Kristiansand von Bord lässt. Es ist aber, dem skandinavischen Sommer sei Dank, noch hell und das Abendlicht lässt die bunten Holzhäuser der norwegischen Hafenstadt in einem warmen Glanz erstrahlen. Sicher ließe sich der Abend auch hier im Ort mit seiner touristischen Infrastruktur angenehm verbringen, doch mich zieht es hinaus in Norwegens Wälder. Ich verlasse also Kristiansand auf der Straße, der die Karte die Nummer 9 zuweist, und schwinge in Richtung Evje, durch ausgedehnte Kiefern- und Birkenwälder und vorbei an zahlreichen kleinen Seen. Zwei Stunden später steht mein Zelt direkt am Ufer eines solchen, und zum Sonnenuntergang gönne ich mir eine Flasche Tuborg aus dem Vorrat im Beiwagen, den ich in rationaler Erwartung norwegischer Alkoholpreise noch in Dänemark angelegt hatte.
Geweckt werde ich am nächsten Morgen vom Geschnatter eines ganzen Schwarms Wildgänse, die sich von der spiegelnden Wasseroberfläche des Sees in den Morgenhimmel emporschwingen. Müde reibe ich mir die Augen und halte vergeblich Ausschau nach Nils Holgersson. Doch was ist schon der Rücken einer Wildgans gegen den Sattel eines Motorrades? Ich folge weiter der 9, entlang den Fluten der Otra, die an vielen Stellen riesige Felsbrocken umspülen, wie etwa bei Bykle. Dass es außer vereinzelten Autos und den nur auf Schildern zu sehenden Elchen auch noch andere Verkehrsteilnehmer auf Norwegens Straßen gibt, merke ich erst, als ich bei Haukeligrend auf die E 134 stoße. Von dichtem Verkehr kann aber auch hier keine Rede sein, und der Blick auf Europas größte Bergebene, Hardangervidda, entschädigt für die Handvoll Wohnmobile, die es zu überholen gilt. In Röldal locken ein Café mit frischen Zimtschnecken und eine Stabkirche gleichermaßen zum verweilen. Kurz darauf verlasse ich bei Jössendal die Europastraße schon wieder, und stecke trotzdem im Reisebusstau: Der Latefossen, einer der berühmteren der unzähligen Wasserfälle Norwegens, lockt die Touristen eben gleich scharenweise an.
Das Städtchen Odda, nach all den kleinen Ortschaften bisher beinah wie eine Metropole wirkend, schmeichelt dem Auge nicht unbedingt – das holt aber, wie zur Versöhnung, die Landschaft an den Ufern des Sörfjords kurz darauf nach. Hinter dem Ort Kinsarvik heißt der dann Eidfjord und eine Fähre bringt mich an dessen gegenüberliegendes Ufer. Bei Voss ist wieder eine Europastraße erreicht, diesmal die E 16, die ich aber schon bald wieder verlasse um das Tindafjell zu erklimmen. Dieses präsentiert sich dann weiß gesprenkelt – von vereinzelten Schneeflecken und vom allgegenwärtigen Wollgras. Wieder auf Meereshöhe abgestiegen wartet zwischen Vangsness und Hella die nächste Fährpassage: Zwischen steil aufragenden Felswänden über den Sognefjord. Bei Gaupne lockt dann ein Abstecher in den Jostedalsbreen-Nationalpark, den man sich keinesfalls entgehen lassen sollte: Seine Attraktionen schmelzen nämlich buchstäblich dahin - die zahlreichen gewaltigen Gletscher sind durch die Klimaerwärmung akut bedroht. Mit entsprechend gemischten Gefühlen betrachte ich daher die riesige Zunge des Nigardsbreen-Gletschers, an dessen Rand mich ein kleines, auf dem letzten Stück mautpflichtiges Sträßchen gebracht hat.
Der Blick auf vergletscherte Gipfel begleitet dann auch die anschließende Fahrt über das Sognefjell. Die Landschaft ist einfach atemberaubend, und der Motor der GS erreicht hier nicht annähernd seine Betriebstemperatur. Weniger, weil es recht frisch ist hier oben, sondern vielmehr, weil ich ständig anhalte, um die Aussicht zu genießen und Fotos zu machen. Ganz sicher eine Landschaft zu schade zum durcheilen, und deshalb eine Rückkehr mit Wanderschuhen statt Motorradstiefeln wert. Nach diesem grandiosen Naturschauspiel hat es die berühmte Stabkirche in Lom dann zwar schwer, den Betrachter zu beeindrucken, sie schafft es aber trotzdem, wenn man ihr eine Chance dazu gibt. Dazu setzt man sich am besten etwas abseits vom wuselnden Touristenstrom ins Gras und lässt die einzigartige Holzarchitektur in Ruhe auf sich wirken.
Als wären die landschaftlichen Reize bisher nur ein Auftakt, ein zaghaftes Vorspiel gewesen, öffnet sich wie ein Donnerschlag der Blick vom Aussichtspunkt Dalsnibba hinunter zum Geirangerfjord – von hier oben noch kaum zu erkennen, nur ein bläulicher Klecks in der Gebirgsszenerie. Die mautpflichtige Schotterstraße hier herauf ist bei gutem Wetter eine absolute Empfehlung, auch wenn die Begegnungen mit Reisebussen in engen Kehren für den einen oder anderen Adrenalinschub sorgen. Nach diesem Ausblick folgt die Abfahrt hinunter nach Geiranger, die nicht nur den Naturliebhaber, sondern auch den Motorradfahrer in mir frohlocken lässt. Nur die Entscheidung fällt schwer, ob man sich nun der Landschaft oder dem Schräglagengenuss hingibt – beides gleichzeitig verbietet sich jedenfalls, will man sicher unten ankommen. Aber selbst wenn man sich für forcierte Kurvenräuberei entscheidet, sollte man hin und wieder anhalten und den Blick auf den Geirangerfjord genießen – nicht umsonst gilt er als Mythos in Norwegen. Der Anblick von Ozeanriesen, die zwischen den steil aufragenden Felswänden im Fjord vor Anker liegen - wie Spielzeugboote in einer überdimensionalen Badewanne – ist wahrhaftig einmalig.
Wer nun meint, Norwegens Landschaft hätte ihr Pulver in Sachen grandioser Szenerien verschossen, wird schon bald eines besseren belehrt: Am berühmten Trollstigveien bleibt einem abermals nur atemloses Staunen. Während die eher sanfte Auffahrt von Linga her gewissermaßen schonend vorbereitet, verschlägt einem der Anblick der gegen Andalsnes hin abfallenden Steilwände dann doch die Sprache. Man mag es kaum glauben, dass ehrgeizige Straßenbauer hier dem schroffen Fels eine Trasse abgerungen haben. Dass dieses Ringen anhält, zeigt die Tatsache, dass die berühmte Straße noch vor einem Jahr wegen eines Erdrutsches gesperrt war. Der Ort Andalsnes markiert dann für mich den Wendepunkt der Reise, ab jetzt heißt es Kurs „Süd“. Genau genommen erst einmal „Süd-Ost“, denn das ist die Richtung, in der die E 136 verläuft, der ich zunächst folge. Bei Lesja suche ich wieder die Einsamkeit, biege ab auf eine kleine mautpflichtige Naturstraße, die über einen Gebirgszug namens Kjölen führt. In einem Hochtal dieser durch gut 1800 Meter hohe Gipfel geprägten Bergkette findet sich dann wieder einmal ein idyllischer Übernachtungsplatz in der freien Natur – in Skandinavien dank dem „Jedermannsrecht“ generell erlaubt.
Nach einer kalten Nacht lässt mir das Wetter immerhin Zeit, in Ruhe zu frühstücken und das Zelt zusammenzupacken, bevor es aus grauem Himmel leicht zu regnen beginnt. Wäre ja wohl auch keine authentische Norwegentour, wenn ich die Regensachen nicht wenigstens einmal kurz aus dem Gepäck hervorkramen müsste. Die Abfahrt nach Vagamo wird dann zur Schlitterpartie, nachdem der Regen die Erdpiste zunehmend in eine Rutschbahn verwandelt. Wenigstens wird einem dabei warm, womit es wenig später hinter Randen vorbei ist: Die Strecke über den Valdresflya erfordert Stufe 2 der Heizgriffe, geizt aber leider mit tröstenden Ausblicken: Die bis gut 2300 Meter hohen Gipfel sind überwiegend wolkenverhüllt. Da kommt das kleine Café in Bygdin gerade recht, ein großer Pott Kaffee, frischer Pfannkuchen und das freundliche Lächeln der reizenden Bedienung wärmen Körper und Herz. Die anschließend abgespulten wenigen Kilometer bis Fagernes kommen dem Sprung in eine andere Klimazone gleich: Bauarbeiter schwingen ihre Schaufeln mit freiem Oberkörper, Kinder baden im Bach und freuen sich an der Sonne, die mittlerweile die Wolken endgültig in die Berge verjagt hat. Sollen sie sich da ruhig weiter ausregnen, ich schäle mich derweil aus der Regenkombi und genieße die Wärme.
Wer nicht gerade über eine unbegrenzte Reisekasse verfügt und nicht ständig selbst kochen will, der landet in Norwegen früher oder später bei Fast Food. In meinem Fall ist es ein Hamburger-Laden bei Gol, der mit dem gleichen Interieur auch gut in den Rocky Mountains stehen könnte. Zwar auch nicht gerade billig, aber im Vergleich zu den „normalen“ Restaurantpreisen hierzulande wenigstens erschwinglich. Ab jetzt werden die Straßen wieder breiter, und irgendwann hinter Honefoss, nachdem die Landschaft noch einmal ihre Reize in Form des Tyrifjords ausgespielt hat, wird der Verkehr zunehmend dichter, bis ich mich schließlich in Oslo in einem Stau wiederfinde. Und so sehne ich mich, noch bevor die Reise beendet ist, schon wieder zurück in Norwegens Fjordland.