Libyen-Reise 1994

Dieser Bericht erschien im November 1995 in den regionalen Motorradmagazinen MoKo, Kradblatt und Bremer Motorradanzeiger.

©Achim Lerch 1995.

Die gefahrene Strecke ist auf dieser Karte eingezeichnet.

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Hier gibt es noch einen ausführlicheren Bericht der Reise.

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Durch die Wüste

libysches KennzeichenOb wir das Geld etwa schwarz getauscht hätten, will der libysche Zöllner von mir wissen. Plötzlich verstehe ich weder englisch noch französisch - arabisch sowieso nicht- und halte ihm nur wortlos die sechzig Dinar für das libysche Kennzeichen hin, das man an der Grenze erwerben muß. Lachend nimmt er das Geld entgegen und händigt das gewünschte Blech gleich in zweifacher Ausfertigung aus. Ob man im Lande Gadhafis auch in Zukunft noch so locker mit Devisenbetrug umgehen wird, nachdem das Land sich nun mehr und mehr für den Tourismus öffnet, bleibt abzuwarten. Unserer Einreise in dieses fremde Maghrebland, über das bislang durch westliche Medien geprägte Vorurteile auch in unseren Köpfen vorherrschen, steht nun jedenfalls nichts mehr im Wege. Wir - das sind leider nur noch Arend und ich, da Henning trotz anderslautender Informationen des Reiseführers im tunesischen Sfax kein libysches Visum erhalten hat. Das geht wirklich nur in Ausnahmefällen und mit einer schriftlichen Einladung aus Libyen. Die zu erhalten wäre wiederum das geringste Problem: Akim und Omar, die uns bereits am ersten Abend einen Eindruck von libyscher Gastfreundschaft vermitteln, indem sie uns an unserem Übernachtungsplatz am Strand bei Sabratah fürstlich bewirten, hätten eine solche Einladung sofort nach Sfax geschickt - dafür ist es nun aber leider zu spät.

Leptis MagnaTripolis - "drei Städte" - das waren neben Macar Uiat, dem heutigen Tripolis, noch die Schwestersiedlungen Sabratah im Westen und Leptis im Osten. Gegründet als karthagischer Handelsstützpunkt im 6./7. Jahrhundert v. Chr. fasziniert die heutige Hauptstadt mit ihrer Mischung aus orientalischem Charakter, mediterranem Charme und dem Flair einer modernen Metropole. Gerne würden wir das bunte Treiben von der Terrasse eines Straßencafés beobachten und die schmerzenden Füße ausruhen, doch noch ist Ramadan, alle Cafés geschlossen. So gönnen wir uns stattdessen Kultur im Museum in der alten Festung, das neben Ausstellungen zu den verschiedenen geschichtlichen Epochen auch eine eigene Abteilung über den allgegenwärtigen Muammar al Gadhafi beherbergt - Personenkult auf die Spitze getrieben.

Waren schon Fotos und Modelle im Museum beeindruckend, ist Leptis Magna, gut 100 km östlich von Tripolis, in Natura ein besonderes kulturelles Erlebnis. Einst phönizischer Handelshafen erlebte die Stadt ihre Blütezeit unter den Römern. Die meisten Bauwerke ließ der in Leptis Magna geborene spätere römische Kaiser Lucius Septimius Severus errichten, was die später herrschenden Araber wiederum kalt ließ: sie ließen die Stadt verfallen. Erst in diesem Jahrhundert wurde sie von Italienern und Amerikanern wieder ausgegraben - zur Freude kulturbeflissener Motorradfahrer und anderer Touristen. Letztere treten allerdings, in angenehmem Gegensatz zu vergleichbaren Stätten etwa in Griechenland, nur sehr vereinzelt auf, was den Genuß für erstere wiederum erhöht.

Piste nach HunDa in Nordafrika nicht nur Kultur lockt und der Desert-Reifen nun endlich nach Schotter verlangt, steuern wir von Misratah nach Qasar Ahmad, wo laut Karte eine Piste entlang der Küste beginnen soll. Zunächst landen wir aber nur in einem großen Industriegebiet mit zahlreichen Fabriken, deren Umzäunung stark an militärische Sicherheitszonen erinnert und uns ein eher mulmiges Gefühl vermittelt. Als wir dann etwas ratlos zwischen zwei Industriekomplexen stehen und die Karte studieren, kommt plötzlich ein mit fünf Personen besezter Pickup auf uns zu und hält mit quietschenden Reifen neben uns. Unser Unbehagen verfliegt aber sofort, als die Insassen uns nur freundlich begrüßen und nach dem Woher und Wohin fragen, wobei uns jeder kräftig die Hand schüttelt. Von einer Piste, die hier beginnen soll, wissen sie allerdings auch nichts. Nach einigem weiteren Suchen und einer kurzen Querfeldeinfahrt entlang eines Fabrikzauns finden wir schließlich doch noch unsere Piste zwischen Küste und Salzwüste und hoch erfreut geben wir den Gummikühen die Sporen. Während zunächst linkerhand noch abwechselnd das Meer, große Salinen und mittelhohe Sanddünen zu sehen sind, führt die Piste schließlich ganz in die Salzwüste, die Küste im Osten ist nur noch zu erahnen.

Wegweiser (Piste nach Hun)Die Piste nach Hun, die wir am nächsten Tag kurz hinter Abu Nijayn gegenüber einem alten Fort einschlagen, ist in der Tat wenig befahren: keinerlei Spuren verunzieren die kleinen Dünen, die über der gut erkennbaren, teils gepflasterten Fahrspur liegen. Gleich bei der ersten rächt sich zu zaghaftes Gasgeben und das Hinterrad ist im Sand verschwunden - erster Schiebeeinsatz. Danach geht's besser und schließlich macht es richtig Spaß, auf steinigem Untergrund Schwung zu holen und dann über die Dünen zu "fliegen". Unser Nachtlager schlagen wir etwa 30 km vor Hun auf und nach Sonnenuntergang vermittelt die hell erleuchtete Stadt am Horizont einen Eindruck davon, daß dort gerade das Ende des Ramadan gefeiert wird. Bei uns feiern die Moskitos mit, für die unser Blut wohl ein Festmahl ist - also: nichts wie ins Zelt.

Nach einem Frühstück in Hun folgt 30 km später der Einstieg in die nächste Piste, wobei zunächst ein Anstieg über groben Schotter auf ein Hammada-Plateau zu überwinden ist. Die Piste verläuft dann abwechselnd auf der Hochebende und im Tal, wobei sich vor den teilweise recht steilen Abstiegen meist spektakuläre Ausblicke ergeben. Die letzten Kilometer bleibt die Piste dann in der Sandebene und man kann dem Wellblech links und rechts der Hauptspur ausweichen. Es geht dabei flott voran, so daß wir bereits abends in Sebha ankommen. Die Oasenstadt mit etwa 200.000 Einwohnern ist nicht sonderlich schön, die Übernachtung im Hotel bietet aber willkommene Gelegenheit für eine fällige Dusche.

Erg UwbariIn Sebha befindet sich auch ein Büro der Libyan Travel Agency, bei der man die Genehmigung für die Besichtigung des Wadi Mathendous erhält. In dem ausgetrockneten Flußtal wimmelt es auf 10 km Länge von prähistorischen Felszeichnungen. Auf dem Weg dorthin gilt es allerdings zunächst einen anderen Höhepunkt zu erleben: die Mandara-Seen in den zwei- bis dreihundert Meter hohen Dünen des Erg Uwbari. Der Einstieg in die Piste, laut Reisebeschreibung die "relativ problemlose Überquerung der ersten Dünenkette", erweist sich dann allerdings als starker Tobak: auf 50 bis 100 Meter Höhe schätzen wir den ersten Hang. Wir lassen Luft aus den Reifen, nehmen Anlauf - und bleiben auf halber Höhe im butterweichen Sand stecken. Und bis zu den Seen sind es 50 km durch z.T. noch höhere Dünen! Wir gelangen schließlich zu der Erkenntnis, daß dies für uns mit den vollbepackten BMW's kaum zu schaffen ist, zumal der Sand nach Auskunft eines Einheimischen noch weicher werden soll. Wir beschließen also, unseren Enduristenstolz zu vernachlässigen und für die Tour einen Jeep zu chartern. Die Fahrt zu den Salzwasserseen inmitten des unendlichen Dünenmeeres ist auch so ein unvergeßliches Erlebnis!

Unvergeßlich - das gilt auch für die Eindrücke, die das Wadi Mathendous nach weiteren 150 km Piste für uns bereithält: dutzende, teils meterhohe Felszeichnungen von Elefanten, Giraffen, Rindern, Moufflons zieren die Felswände des Wadis, in dem wir ganz alleine sind mit den zehntausend Jahre alten Graffitis. Daß die Sahara einmal eine fruchtbare Landschaft war, durch die grasende Elefanten- und Giraffenherden zogen, können wir uns dann am nächsten Tag ganz gut vorstellen beim Anblick riesiger Weizenfelder inmitten der Sandwüste. Ein gigantisches Bewässerungsprojekt mit siebzig kreisrunden, jeweils 50 ha großen Getreidefeldern zeugt vom libyschen Willen, von Nahrungsimporten unabhängig zu bleiben.

Mandara-Seen (Umm el ma)Der Polizeichef, der mir in der Polizeistation von Tesawa im Schneidersitz gegenübersitzt, strahlt mit seinem weißen Bart Würde und Gelassenheit aus. Den Tee und die Kekse, die er mir anbietet, nehme ich gerne an, meine Stimmung vermögen sie aber nur unwesentlich zu verbessern: Ich spüre jeden Knochen meines Körpers und der Rücken schmerzt einfach höllisch. Auch die BMW sieht nach einem zweifachen Überschlag bei 90 km/h übel aus. Drei kurz hintereinander folgende Bodenwellen in Verbindung mit einem undichten hinteren Federbein haben mich bei flotter Fahrt neben der Piste sprichwörtlich ausgehoben, daß nicht mehr passiert ist, ist reine Glücksache, genau wie die Tatsache, daß der Unfall nach 150 km Piste nur 15 km vor Tesawa passierte. Während ich mich in der Polizeistation noch von dem Schock erhole, ist Arend gemeinsam mit dem halben Dorf aktiv: mein Motorrad wird in eine Werkstatt verfrachtet, ein Übernachtungsplatz für uns organisiert. Zum Abendessen sind wir beim zuständigen Ingenieur des Bewässerungsprojekts eingeladen, die gesamte Dorfprominenz ist anwesend: Bürgermeister, Polizeichef, Lehrer, Korangelehrter. Als die Diskussion zunehmend politisch wird, halten wir uns allerdings mehr und mehr zurück. Insbesondere der junge Dorflehrer scheint für die staatliche Propaganda sehr empfänglich: mit leuchtenden Augen zitiert er Gadhafis "grünes Buch": "our leader told us:...".

WüstencampWas mit Schweißbrenner und Vorschlaghammer alles möglich ist, würde so manchem hiesigen Zweiradmechaniker durchaus zur Ehre gereichen: zugegeben, schön sieht sie nicht aus, meine Gummikuh, als sie mir am nächsten Morgen auf dem Hof der Werkstatt gegenübersteht, aber: sie fährt. Der Auspuff ist gerade gebogen, die Kofferträger, der Lenker und der Rahmensturzbügel gerichtet und geschweißt. Der Träger von Scheinwerfer und Instrumenten zeigt zumindest halbwegs nach vorne und selbst ein Spiegel konnte wieder zusammengeschweißt werden. Noch ein paar Kleckser Farbe hier und da, und wir rollen vom Hof. Nach gebührendem Abschied von unseren Gastgebern können wir die Reise fortsetzen - zunächst geht es allerdings nur auf Asphalt nach Sebha, wo ich meinem Rücken noch einen Tag Ruhe und den Luxus eines Hotels gönne. Ob meiner "dynamischen" Bewegungen verleiht Arend mir den Spitznamen Methusalem, was ich aber - mangels Alternativen - mit Fassung trage.

Tanks und Kanister sind voll, die Tankuhr zeigt 68 Liter und etwas über neun Dinar - mit einem Spritpreis von ca. 8 Pfennig pro Liter läßt sich leben. Wir nehmen die längste Pistenetappe der Tour in Angriff, 460 km von Idri nach Darj. Schon die ersten Kilometer sind genau das Richtige für meinen Rücken: entweder sorgt grobes Wellblech für angenehme Stöße oder verspurte Sandpassagen fordern kräftiges Zupacken am Lenker: auch eine Art Krankengymnastik für die Rückenmuskulatur. Nachdem dann der nächste Tag für Arend ganz unter dem Zeichen "Reifenflicken" steht, sind wir schließlich direkt einmal froh, in Darj wieder Asphalt unter den Rädern zu haben.

Wadi MathendousIn Ghadames erwartet uns dann das letzte kulturelle Highlight unserer Reise: die verwinkelte Altstadt der Oase mit den großteils überdachten Gassen gehört nicht umsonst zu den unter UNESCO-Schutz stehenden Städten der Welt. Die Gründe für die Bauweise spüren wir angenehm: von der draußen herrschenden Hitze ist nichts zu merken. Ein weiteres Highlight in Ghadames: Das erste Bier seit gut drei Wochen. Alkoholfrei zwar und von gewöhnungsbedürftigem Geschmack, aber dennoch ein Genuß. Unser Libyen-Urlaub neigt sich dem Ende zu, was bleibt ist der überwältigende Eindruck von einem großartigen Land und arabischer Gastfreundschaft sowie die Bestätigung der Erkenntnis, daß wohl kaum etwas besser gegen Vorurteile hilft als Reisen und die eigene Anschauung vor Ort. Dabei ist Libyen ein Land, das sich bislang vor dem Massentourismus zu schützen wußte, und hoffentlich noch ein Weilchen zu schützen weiß. Gadhafis Politik mag man beurteilen wie man will - wenn er im grünen Buch schreibt "Dauerhafte Beziehungen bestehen unter Völkern, nicht zwischen Regierungen", dann hat er, glaube ich, nicht ganz unrecht.

Crash bei 90 km/hOb wir tatsächlich nur ein Nummernschild erhalten hätten, will schließlich der libysche Zöllner von mir wissen. Selbstverständlich, für ein Motorrad braucht man doch nur eines! Er glaubt's - oder tut zumindest so, zahlt die Pfandsumme zurück und ein arabisches Kennzeichen schmückt seitdem die Wand über meinem Schreibtisch.





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