©Achim Lerch 1995.
Die gefahrene Strecke ist auf dieser Karte eingezeichnet.
Direkt zur Dokumentation
Hier gibt es noch einen ausführlicheren Bericht der Reise.
Kritik, Anregungen: webmaster@kradventure.de
Durch die Wüste
Ob wir das Geld etwa schwarz getauscht hätten, will der libysche
Zöllner von mir wissen. Plötzlich verstehe ich weder
englisch noch französisch - arabisch sowieso nicht- und halte
ihm nur wortlos die sechzig Dinar für das libysche Kennzeichen
hin, das man an der Grenze erwerben muß. Lachend nimmt er
das Geld entgegen und händigt das gewünschte Blech gleich
in zweifacher Ausfertigung aus. Ob man im Lande Gadhafis auch
in Zukunft noch so locker mit Devisenbetrug umgehen wird, nachdem
das Land sich nun mehr und mehr für den Tourismus öffnet,
bleibt abzuwarten. Unserer Einreise in dieses fremde Maghrebland,
über das bislang durch westliche Medien geprägte Vorurteile
auch in unseren Köpfen vorherrschen, steht nun jedenfalls
nichts mehr im Wege. Wir - das sind leider nur noch Arend und
ich, da Henning trotz anderslautender Informationen des Reiseführers
im tunesischen Sfax kein libysches Visum erhalten hat. Das geht
wirklich nur in Ausnahmefällen und mit einer schriftlichen
Einladung aus Libyen. Die zu erhalten wäre wiederum das geringste
Problem: Akim und Omar, die uns bereits am ersten Abend einen
Eindruck von libyscher Gastfreundschaft vermitteln, indem sie
uns an unserem Übernachtungsplatz am Strand bei Sabratah
fürstlich bewirten, hätten eine solche Einladung sofort
nach Sfax geschickt - dafür ist es nun aber leider zu spät.
Tripolis - "drei Städte" - das waren neben Macar
Uiat, dem heutigen Tripolis, noch die Schwestersiedlungen Sabratah
im Westen und Leptis im Osten. Gegründet als karthagischer
Handelsstützpunkt im 6./7. Jahrhundert v. Chr. fasziniert
die heutige Hauptstadt mit ihrer Mischung aus orientalischem Charakter,
mediterranem Charme und dem Flair einer modernen Metropole. Gerne
würden wir das bunte Treiben von der Terrasse eines Straßencafés
beobachten und die schmerzenden Füße ausruhen, doch
noch ist Ramadan, alle Cafés geschlossen. So gönnen
wir uns stattdessen Kultur im Museum in der alten Festung, das
neben Ausstellungen zu den verschiedenen geschichtlichen Epochen
auch eine eigene Abteilung über den allgegenwärtigen
Muammar al Gadhafi beherbergt - Personenkult auf die Spitze getrieben.
Waren schon Fotos und Modelle im Museum beeindruckend, ist Leptis
Magna, gut 100 km östlich von Tripolis, in Natura ein besonderes
kulturelles Erlebnis. Einst phönizischer Handelshafen erlebte
die Stadt ihre Blütezeit unter den Römern. Die meisten
Bauwerke ließ der in Leptis Magna geborene spätere
römische Kaiser Lucius Septimius Severus errichten, was die
später herrschenden Araber wiederum kalt ließ: sie
ließen die Stadt verfallen. Erst in diesem Jahrhundert wurde
sie von Italienern und Amerikanern wieder ausgegraben - zur Freude
kulturbeflissener Motorradfahrer und anderer Touristen. Letztere
treten allerdings, in angenehmem Gegensatz zu vergleichbaren Stätten
etwa in Griechenland, nur sehr vereinzelt auf, was den Genuß
für erstere wiederum erhöht.
Da in Nordafrika nicht nur Kultur lockt und der Desert-Reifen
nun endlich nach Schotter verlangt, steuern wir von Misratah nach
Qasar Ahmad, wo laut Karte eine Piste entlang der Küste beginnen
soll. Zunächst landen wir aber nur in einem großen
Industriegebiet mit zahlreichen Fabriken, deren Umzäunung
stark an militärische Sicherheitszonen erinnert und uns ein
eher mulmiges Gefühl vermittelt. Als wir dann etwas ratlos
zwischen zwei Industriekomplexen stehen und die Karte studieren,
kommt plötzlich ein mit fünf Personen besezter Pickup
auf uns zu und hält mit quietschenden Reifen neben uns. Unser
Unbehagen verfliegt aber sofort, als die Insassen uns nur freundlich
begrüßen und nach dem Woher und Wohin fragen, wobei
uns jeder kräftig die Hand schüttelt. Von einer Piste,
die hier beginnen soll, wissen sie allerdings auch nichts. Nach
einigem weiteren Suchen und einer kurzen Querfeldeinfahrt entlang
eines Fabrikzauns finden wir schließlich doch noch unsere
Piste zwischen Küste und Salzwüste und hoch erfreut
geben wir den Gummikühen die Sporen. Während zunächst
linkerhand noch abwechselnd das Meer, große Salinen und
mittelhohe Sanddünen zu sehen sind, führt die Piste
schließlich ganz in die Salzwüste, die Küste im
Osten ist nur noch zu erahnen.
Die Piste nach Hun, die wir am nächsten Tag kurz hinter Abu
Nijayn gegenüber einem alten Fort einschlagen, ist in der
Tat wenig befahren: keinerlei Spuren verunzieren die kleinen Dünen,
die über der gut erkennbaren, teils gepflasterten Fahrspur
liegen. Gleich bei der ersten rächt sich zu zaghaftes Gasgeben
und das Hinterrad ist im Sand verschwunden - erster Schiebeeinsatz.
Danach geht's besser und schließlich macht es richtig Spaß,
auf steinigem Untergrund Schwung zu holen und dann über die
Dünen zu "fliegen". Unser Nachtlager schlagen wir
etwa 30 km vor Hun auf und nach Sonnenuntergang vermittelt die
hell erleuchtete Stadt am Horizont einen Eindruck davon, daß
dort gerade das Ende des Ramadan gefeiert wird. Bei uns feiern
die Moskitos mit, für die unser Blut wohl ein Festmahl ist
- also: nichts wie ins Zelt.
Nach einem Frühstück in Hun folgt 30 km später
der Einstieg in die nächste Piste, wobei zunächst ein
Anstieg über groben Schotter auf ein Hammada-Plateau zu überwinden
ist. Die Piste verläuft dann abwechselnd auf der Hochebende
und im Tal, wobei sich vor den teilweise recht steilen Abstiegen
meist spektakuläre Ausblicke ergeben. Die letzten Kilometer
bleibt die Piste dann in der Sandebene und man kann dem Wellblech
links und rechts der Hauptspur ausweichen. Es geht dabei flott
voran, so daß wir bereits abends in Sebha ankommen. Die
Oasenstadt mit etwa 200.000 Einwohnern ist nicht sonderlich schön,
die Übernachtung im Hotel bietet aber willkommene Gelegenheit
für eine fällige Dusche.
In Sebha befindet sich auch ein Büro der Libyan Travel Agency,
bei der man die Genehmigung für die Besichtigung des Wadi
Mathendous erhält. In dem ausgetrockneten Flußtal wimmelt
es auf 10 km Länge von prähistorischen Felszeichnungen.
Auf dem Weg dorthin gilt es allerdings zunächst einen anderen
Höhepunkt zu erleben: die Mandara-Seen in den zwei- bis dreihundert
Meter hohen Dünen des Erg Uwbari. Der Einstieg in die Piste,
laut Reisebeschreibung die "relativ problemlose Überquerung
der ersten Dünenkette", erweist sich dann allerdings
als starker Tobak: auf 50 bis 100 Meter Höhe schätzen
wir den ersten Hang. Wir lassen Luft aus den Reifen, nehmen Anlauf
- und bleiben auf halber Höhe im butterweichen Sand stecken.
Und bis zu den Seen sind es 50 km durch z.T. noch höhere
Dünen! Wir gelangen schließlich zu der Erkenntnis,
daß dies für uns mit den vollbepackten BMW's kaum zu
schaffen ist, zumal der Sand nach Auskunft eines Einheimischen
noch weicher werden soll. Wir beschließen also, unseren
Enduristenstolz zu vernachlässigen und für die Tour
einen Jeep zu chartern. Die Fahrt zu den Salzwasserseen inmitten
des unendlichen Dünenmeeres ist auch so ein unvergeßliches
Erlebnis!
Unvergeßlich - das gilt auch für die Eindrücke,
die das Wadi Mathendous nach weiteren 150 km Piste für uns
bereithält: dutzende, teils meterhohe Felszeichnungen von
Elefanten, Giraffen, Rindern, Moufflons zieren die Felswände
des Wadis, in dem wir ganz alleine sind mit den zehntausend Jahre
alten Graffitis. Daß die Sahara einmal eine fruchtbare Landschaft
war, durch die grasende Elefanten- und Giraffenherden zogen, können
wir uns dann am nächsten Tag ganz gut vorstellen beim Anblick
riesiger Weizenfelder inmitten der Sandwüste. Ein gigantisches
Bewässerungsprojekt mit siebzig kreisrunden, jeweils 50 ha
großen Getreidefeldern zeugt vom libyschen Willen, von Nahrungsimporten
unabhängig zu bleiben.
Der Polizeichef, der mir in der Polizeistation von Tesawa im Schneidersitz
gegenübersitzt, strahlt mit seinem weißen Bart Würde
und Gelassenheit aus. Den Tee und die Kekse, die er mir anbietet,
nehme ich gerne an, meine Stimmung vermögen sie aber nur
unwesentlich zu verbessern: Ich spüre jeden Knochen meines
Körpers und der Rücken schmerzt einfach höllisch.
Auch die BMW sieht nach einem zweifachen Überschlag bei 90
km/h übel aus. Drei kurz hintereinander folgende Bodenwellen
in Verbindung mit einem undichten hinteren Federbein haben mich
bei flotter Fahrt neben der Piste sprichwörtlich ausgehoben,
daß nicht mehr passiert ist, ist reine Glücksache,
genau wie die Tatsache, daß der Unfall nach 150 km Piste
nur 15 km vor Tesawa passierte. Während ich mich in der Polizeistation
noch von dem Schock erhole, ist Arend gemeinsam mit dem halben
Dorf aktiv: mein Motorrad wird in eine Werkstatt verfrachtet,
ein Übernachtungsplatz für uns organisiert. Zum Abendessen
sind wir beim zuständigen Ingenieur des Bewässerungsprojekts
eingeladen, die gesamte Dorfprominenz ist anwesend: Bürgermeister,
Polizeichef, Lehrer, Korangelehrter. Als die Diskussion zunehmend
politisch wird, halten wir uns allerdings mehr und mehr zurück.
Insbesondere der junge Dorflehrer scheint für die staatliche
Propaganda sehr empfänglich: mit leuchtenden Augen zitiert
er Gadhafis "grünes Buch": "our leader told
us:...".
Was mit Schweißbrenner und Vorschlaghammer alles möglich
ist, würde so manchem hiesigen Zweiradmechaniker durchaus
zur Ehre gereichen: zugegeben, schön sieht sie nicht aus,
meine Gummikuh, als sie mir am nächsten Morgen auf dem Hof
der Werkstatt gegenübersteht, aber: sie fährt. Der Auspuff
ist gerade gebogen, die Kofferträger, der Lenker und der
Rahmensturzbügel gerichtet und geschweißt. Der Träger
von Scheinwerfer und Instrumenten zeigt zumindest halbwegs nach
vorne und selbst ein Spiegel konnte wieder zusammengeschweißt
werden. Noch ein paar Kleckser Farbe hier und da, und wir rollen
vom Hof. Nach gebührendem Abschied von unseren Gastgebern
können wir die Reise fortsetzen - zunächst geht es allerdings
nur auf Asphalt nach Sebha, wo ich meinem Rücken noch einen
Tag Ruhe und den Luxus eines Hotels gönne. Ob meiner "dynamischen"
Bewegungen verleiht Arend mir den Spitznamen Methusalem, was ich
aber - mangels Alternativen - mit Fassung trage.
Tanks und Kanister sind voll, die Tankuhr zeigt 68 Liter und etwas
über neun Dinar - mit einem Spritpreis von ca. 8 Pfennig
pro Liter läßt sich leben. Wir nehmen die längste
Pistenetappe der Tour in Angriff, 460 km von Idri nach Darj. Schon
die ersten Kilometer sind genau das Richtige für meinen Rücken:
entweder sorgt grobes Wellblech für angenehme Stöße
oder verspurte Sandpassagen fordern kräftiges Zupacken am
Lenker: auch eine Art Krankengymnastik für die Rückenmuskulatur.
Nachdem dann der nächste Tag für Arend ganz unter dem
Zeichen "Reifenflicken" steht, sind wir schließlich
direkt einmal froh, in Darj wieder Asphalt unter den Rädern
zu haben.
In Ghadames erwartet uns dann das letzte kulturelle Highlight
unserer Reise: die verwinkelte Altstadt der Oase mit den großteils
überdachten Gassen gehört nicht umsonst zu den unter
UNESCO-Schutz stehenden Städten der Welt. Die Gründe
für die Bauweise spüren wir angenehm: von der draußen
herrschenden Hitze ist nichts zu merken. Ein weiteres Highlight
in Ghadames: Das erste Bier seit gut drei Wochen. Alkoholfrei
zwar und von gewöhnungsbedürftigem Geschmack, aber dennoch
ein Genuß. Unser Libyen-Urlaub neigt sich dem Ende zu, was
bleibt ist der überwältigende Eindruck von einem großartigen
Land und arabischer Gastfreundschaft sowie die Bestätigung
der Erkenntnis, daß wohl kaum etwas besser gegen Vorurteile
hilft als Reisen und die eigene Anschauung vor Ort. Dabei ist
Libyen ein Land, das sich bislang vor dem Massentourismus zu schützen
wußte, und hoffentlich noch ein Weilchen zu schützen
weiß. Gadhafis Politik mag man beurteilen wie man will -
wenn er im grünen Buch schreibt "Dauerhafte Beziehungen
bestehen unter Völkern, nicht zwischen Regierungen",
dann hat er, glaube ich, nicht ganz unrecht.
Ob wir tatsächlich nur ein Nummernschild erhalten hätten,
will schließlich der libysche Zöllner von mir wissen.
Selbstverständlich, für ein Motorrad braucht man doch
nur eines! Er glaubt's - oder tut zumindest so, zahlt die Pfandsumme
zurück und ein arabisches Kennzeichen schmückt seitdem
die Wand über meinem Schreibtisch.
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