Kritik, Anregungen: lerch@wirtschaft.uni-kassel.de
Tja, und so sah er etwa aus, ein Tag süßes Leben in Ligurien:
Durch Sohnemann ebenso pünktlich wie unerbittlich geweckt ist das erste Ziel der Strand, ein erster Cappuccino zum Wachwerden an der Strandbar, ein paar Sandburgen bauen, den bleichen Büromenschenkörper in die Sonne legen und das erwachende italienische Strandleben beobachten. Was für ein Gegensatz zwischen den weiten, menschenleeren Atlantikstränden, die Filius und ich letztes Jahr in der Bretagne umgegraben haben, und diesem touristendurchfluteteten Ort italienischer Badekultur! Fast jeder Quadratzentimeter Strand ist genutzt, gesäumt von ordentlich in Reih und Glied aufgestellten Liegestühlen, dass es jedem deutschen General die Freudentränen in die Augen treiben würde. Hier zeigt sich der Südländer von seiner teutonischen Seite, und auch die zugehörigen Bademeister der hoteleigenen Privatstrände, die mit strengem Blick jeden verfolgen, der den frisch gerechten Sand durch Fußspuren verunstaltet, könnten preußischer nicht sein - vielleicht einmal abgesehen von ihrem sonnengebräunten und goldkettenbehängten Äußeren.
Für das gemeine Volk (also auch für uns) bleiben immerhin ein paar Quadratmeter öffentlicher Strand, und hier, wo die italienischen Mamas mit ihren Bambini zwischen Einkauf und Kochen den Vormittag verbringen, spielt sich ohnehin das wirkliche Leben ab. Von den hin und wieder vorbei stolzierenden Madonnen, die die neueste Bademode an ihren wahrhaft göttlichen Körpern vorführen, mal ganz abgesehen. Trotz dieser unbestreitbaren optischen Vorzüge, der aufmerksame Leser mag es schon gemerkt haben, liegt mir diese Art Strandleben nicht wirklich, aber Sohnemann ist das wurscht: Das Wasser ist warm, das Ufer flach - ideal für kindliche Badefreuden, und Gelati gibt es auch. Trotzdem: Bevor es zu voll und zu heiß wird, machen wir uns schon wieder auf den Weg und besorgen frische Panini für das ausgiebige Frühstück im Ferienhaus - wenige Kilometer landeinwärts in einem Bergdorf ruhig und abseits des Trubels gelegen. Beim zweiten Cappuccino lässt sich dann mit Hilfe der Karte wunderbar die heutige Tagestour planen...
Und die verspricht, fast egal, welche Route man einschlägt, Schräglagen bis zum abwinken. Zwar sind die Pässe, die hier so klangvolle Namen tragen wie Colle San Bartolemeo, Colle San Bernardo, Passo del Maro, Passo di Ginestro oder Giogo di Toirano, nicht so hoch wie die berühmteren Alpenpässe (die 20 Pässe, die ich befahren habe, liegen zwischen 620 und 1871 Metern über NN) und hält sie der Denzel für nicht erwähnenswert, doch da man jeweils auf Meereshöhe startet, kommen auf einer solchen Pässetour auch genügend Höhenmeter zusammen. Atemberaubende Streckenführung und landschaftliche Hochgenüsse ebenso. Getrübt wird der Spaß eigentlich nur durch die Tatsache, dass ich mit dem Gespann angereist bin und sich allzu heftige Endurotouren verbieten (auch nach Demontage des Beiwagens verbleibt ja der Hilfsrahmen am Motorrad, der Bodenfreiheit kostet und ungeschützt den Steinen ausgesetzt ist). So musste die Ligurische Grenzkammstraße mit ihrem teilweise recht groben Schotter aus Rücksicht auf´s Material ausfallen, wenngleich ich zumindest auf den Colle di Tenda und zum Fort Central sowie auf den Monte Saccarello gefahren bin - mit 2.200 m Liguriens höchster Berg. Ein Schottertip jenseits der bekannten Strecken ist übrigens die Verbindung zwischen Monesi und Triora über Colla Garezzo (1801 m) und Passo della Guardia (1461 m): fahrerisch unspektakulär, aber landschaftlich sehr reizvoll.
Ist also in den Bergen die Enduro das Gefährt der Wahl, so gehört das Terrain in den Innenstädten, etwa von Imperia, San Remo oder Ventimiglia, eindeutig den Rollern und ihren tollkühnen PilotInnen. Mit Badelatschen, Shorts und einer Ray Ban-Sonnebrille (als wohl wichtigstem Teil der Ausrüstung) bekleidet, schwirren sie einem wie ein Wespenschwarm um die Ohren, wenngleich die Vespas heutzutage eindeutig in der Minderheit sind und zumeist von älteren Semestern pilotiert werden. Die Anzahl der Fahrspuren wird nur limitiert durch die Baubreite der jeweiligen Gefährte, evtl. noch durch die Anwesenheit eines verzweifelt wie vergeblich um Verkehrsregelung bemühten Carrabinieri. Doch auch außerhalb der Ortschaften, auf den kurvigen Abschnitten der unter dem Namen Via Aurelia berühmten Küstenstraße, wissen einige der Rolleristi ihre Kloschüsseln zu bewegen, dass es einem Respekt abnötigt. Man kommt wirklich nur mit vehementen Gaseinsatz und unter Ausnutzung der Reifenkante vorbei...
Ist schließlich auch dieser Teil des täglichen Wahnsinns des italienischen Straßenverkehrs bewältigt, kann man sich den Gaumenfreuden widmen. Leckere Pasta, etwas Lammfleisch vom Grill oder als regionale Spezialität Bruschetta: geröstetes Weißbrot mit Knoblauch, Tomatenstücken, Oregano und vor allem viel Olivenöl. Ich persönlich mag das Ligurische mit seinem dezenten, nicht aufdringlich vorschmeckenden Aroma übrigens besonders. Zum Ausklang des Tages schließlich macht man es sich bei angenhemen Temperaturen auf dem Balkon bequem, ein Glas Grappa in der Hand, dazu ein gutes Buch und der einlullende Klang der Zikaden...
Ja, so etwa sah er aus, ein Tag in Ligurien...