Dieser Bericht ist auch in den Motorradmagazinen Kradblatt, MoKo und Bremer Motorradanzeiger erschienen (Januar 1999).
Kritik, Anregungen: lerch@wirtschaft.uni-kassel.de
Frühling am Gardasee - das hielt ich eigentlich für
eine gute Idee. Und ein paar freie Tage um Ostern kommen auch
zusammen, also den Gepäcksack auf´s Motorrad geschnallt
und los geht's. Die Autobahn nach Lindau wird schnell abgespult,
und die Alpen in Sicht kommen ab dem Bodensee erste Urlaubsgefühle
auf. Der strahlend blaue Himmel paßt dazu, nur die eisige
Kälte, die schon seit einigen Tagen in Form von Polarluft
ganz Mitteleuropa überzieht, wirkt etwas störend. Der
übliche Stau in Bregenz hält sich heute in Grenzen und
schon bald fällt der Blick bei Vaduz auf das fürstliche
Schloß von Lichtenstein. Hinter Chur beginnt dann endlich
der eigentliche Fahrspaß: Wie im Rausch erklimme ich die
ersten Kehren der Straße nach Lenzerheide. Je höher
ich komme, desto mehr drehe ich jedoch das Gas zurück: Den
Alpen brachte der Kälteeinbruch reichlich Neuschnee, und
davon liegt nun links und rechts der Straße jede Menge.
In Lenzerheide selbst herrscht dann auch noch reger Skibetrieb,
und ich genieße die wieder zunehmende Wärme, als sich
die Straße wieder hinunter nach Tiefencastell schraubt.
Doch direkt danach geht es wieder aufwärts auf den 2.284
Meter hohen Julierpaß. Hier oben ist es mächtig kalt
und ich freue mich auf die Abfahrt nach Italien. Zunächst
geht es an Silvaplaner und Silser See entlang zum Malojapaß
und dann in engen Kehren hinunter nach Chiavenna. Nachdem an einem
Geldautomaten italienische Lire organisiert sind, setze ich die
Fahrt fort nach Dervio am Lago di Como. Auf dem Campingplatz "Europa"
schlage ich mein Zelt direkt am Seeufer auf und nach einem Spaziergang
durch den Ort beschließe ich den Abend bei einer Pizza Quattro
Formaggio.
In der Nacht bin ich dann froh, den dicken Winterschlafsack dabei
zu haben, es ist bitterkalt. Auf dem Weg nach Premana, den ich
am nächsten Morgen einschlage, wandeln sich die Regentropfen
dann ab etwa 800 Höhenmetern in Schneeflocken, die ab 1.200
Meter auch liegen bleiben. Zum Glück führt die Strecke
bald wieder abwärts nach Taceno. Über Vedesata geht
es durch eine herrliche Schlucht weiter nach St. Pellegrino und
von dort über Selvino und Gandino zum Lago d´Endino.
Von hier ist es nicht mehr weit zum Lago d´Iseo, den ich
dann südlich umfahre um über den Passo Termini zum Idro-See
zu gelangen. Bei einem Cappuccino wärme ich mich erst einmal
auf bevor ich den letzten Paß des Tages in Angriff nehme.
Über das etwa 1.000 Meter hohe Capovalle, dessen Dächer
schneebedeckt sind, geht es am Lago di Valvestino vorbei nach
Gargnano, genauer zum Motorradhotel Monte Gargnano. Da es den
ganzen Tag immer wieder geregnet bzw. geschneit hat und der Himmel
auch jetzt nicht sehr freundlich aussieht, habe ich beschlossen,
das Zelt im Packsack zu lassen und mich statt dessen bei Alain
Goffard einzuquartieren. Eine weise Entscheidung, wie sich noch
herausstellen sollte.
Da es noch relativ früh am Nachmittag ist, starte ich nach
dem Abladen des Gepäcks noch zu einer kleinen Runde. Zunächst
hinunter ans Ufer des Gardasees, dann nach Norden bis Campione
und über eine der schönsten Straßen in dieser
Gegend hinauf nach Vesio. An der Abzweigung zum Tremalzo-Paß
betrachte ich traurig das Sperrschild: Motorrad auf weißem
Grund mit rotem Rand. Früher ein Paradies für Endurofahrer
ist das Westufer des Gardasees heute für Offroadabenteuer
tabu. Wie sehr es einige "Kollegen" übertrieben
haben müssen wird einem klar, wenn man weiß, wie tolerant
und motorsportbegeistert gerade die Italiener normalerweise sind.
Wehmütig denke ich an frühere Tremalzobefahrungen zurück
und fahre weiter über Tignale ans Seeufer und schließlich
zurück ins Hotel. Dort hat Alain genau den richtigen Trost:
Wohlschmeckende Pasta als Vorspeise, Kalbschnitzel in Weißweinsauce
mit Salat und Spinat mit Parmesan als Hauptgang, und schließlich
ein großes Eis als Dessert. Müde und satt gehe ich
an diesem Abend früh schlafen.
Geweckt werde ich von dem Geräusch des prasselnden Regens,
das mich auch schon in den Schlaf gelullt hatte. Also wird nach
dem Frühstück wieder die Regenhose angezogen und ich
mache mich auf den Weg nach Capovalle. Eigentlich wollte ich heute
die Strecke über Eno am Monte Spino vorbei nach Vobarno fahren,
die kurios direkt durch eine Bergkirche führt. Doch auf dem
Weg nach Capovalle erkenne ich, daß der Regen ab etwa 800
Meter als Schnee niedergegangen ist und erleichtert schließe
ich mich einem Schneepflug an, der die Strecke hinter Capovalle
gerade freiräumt. An der Abzweigung nach Eno sehe ich dann,
daß ich keine Chance habe: Eine dicke weiße Schneeschicht
bedeckt die Straße, keinerlei Spuren sind zu sehen, statt
dessen ein Schild: gesperrt wegen Schnee. Damit ist klar, daß
ich auch andere für diesen Tag geplante Strecken nicht fahren
kann, und so folgt eine große Runde über Idro-See,
Ledro-See und Gardasee, mit einigen Abstechern zum Monte Baldo,
die aber allesamt früher oder später im Schnee enden.
Genügend Kilometer kommen aber auch so zusammen, und das
wieder opulente Mahl im Hotel habe ich mir redlich verdient.
Am nächsten Tag, an dem es wieder regnet, ist schon die Rückreise
angesagt. Über Trento gelange ich schnell nach Auer, wo ich,
optimistisch wie ich bin, rechts abbiege um über Aldein und
Weißenstein Richtung Karerpaß zu fahren. Eigentlich
wollte ich nämlich noch die "Sellarunde" über
Sella-, Pordoi- und Campolognopaß sowie Grödnerjoch
"mitnehmen", doch dafür schneit es schon im 1.400
Meter hohen Weißenstein viel zu sehr. Also fahre ich an
der Abzweigung nicht nach rechts zum Karerpaß, sondern nach
links durch die Karerschlucht (Eggenschlucht) direkt nach Bozen.
Von dort bin ich schnell am Brenner, der mich dann überrascht:
Auf der Nordseite plötzlich strahlender Sonnenschein. Das
gibt Gelegenheit noch einen Umweg über Kühtai-Sattel,
Fernpaß, Reutte und Plansee zu fahren, bevor ich mich hinter
Oberammergau in einem Gasthof für die Nacht einquartiere.
Am nächsten und letzten Tag geht es dann über Bundes-
und Landstraßen über Augsburg, Donauwörth, Ansbach,
Rothenburg ob der Tauber, Kitzingen, Bad Kissingen und Fulda zurück
nach Kassel. Auch wenn der Frühling nicht stattgefunden hat
- schön war es doch, nach fünf Jahren wieder mal den
Gardasee besucht zu haben.
Achim Lerch