Dieser Bericht erschien im Juni 1999 in den regionalen Motorradmagazinen Kradblatt und Bremer Motorradanzeiger.
Kritik, Anregungen: lerch@wirtschaft.uni-kassel.de
Mein Alpenhunger für dieses Jahr war einfach noch nicht gestillt:
Die Gardasee-Tour ist mehr oder weniger im Schnee versunken, die
Stella Alpina mußte seit sechs Jahren erstmals ohne mich
stattfinden, und die Rückfahrt von der Frankreichtour hat
nur noch mehr Appetit gemacht. Ein Tag Urlaub wäre noch drin,
und September ist immer ein guter Monat für die Alpen. Außerdem
findet in München die Intermot statt - was läge also
näher, als einen Messerundgang mit einer kleinen Alpentour
zu verbinden? Die Meteorologen versprechen auch endlich ein Ende
des Dauerregens, also wird am Freitag den 18.9. das Motorrad bepackt
und um 8.00 Uhr starte ich vor der heimischen Garage. 500 Kilometer
und einen kleinen Stau später lenke ich die GS auf den Motorradparkplatz
an der neuen Messe München und betrete um 12.30 Uhr die Ausstellung.
Bei den (Reise-) Enduros gibt es nicht furchtbar viel neues. BMW bietet
die GS jetzt auch mit dem 850er Motor an, Triumph hat die Tiger
gründlich renoviert und Honda enttäuscht viele Africa-Twin
Fans: Statt einer stärker motorisierten Enduro liefern die
Japaner mit der Varadero einen Straßentourer mit dem VTR-Motor:
Gußfelgen und minimale Federwege laden kaum zu größeren
Pistenabenteuern ein.
Als ich der Messe den Rücken kehre und München in südöstlicher
Richtung verlasse, fängt es immer stärker an zu regnen.
Der Tegernsee liegt im grauen Wolkendunst und die Segelboote dümpeln
traurig im Hafen. Ich stärke mich in einem kleinen Café,
und die Katze, die zusammengerollt vor dem Ofen liegt, wirft mir
gelangweilt-mitleidige Blicke zu, als ich Handschuhe und Halstuch
zum Trocknen ausbreite. Sudelfeld, Tatzelwurm - von der Landschaft
ist wenig zu sehen, doch dafür herrscht wenig Verkehr. Schließlich
hat der Gasthof Schneitzlreuth ein Zimmer für mich, und gerade
heute findet der jährliche Leberkäse-Schmaus statt. Fünf
Sorten der selbstgemachten deftigen Kost gibt es zu bayerisch
Kraut und Semmel, dazu volkstümliche Live-Musik. Mein preußischer
Magen braucht hinterher etwas Verdauungshilfe in Form eines Obstlers.
Als ich am nächsten Morgen gegen 8.30 Uhr starte, ist der
Himmel noch von hochnebelartiger Bewölkung bedeckt - normalerweise
kein schlechtes Zeichen an einem Septembermorgen. Tatsächlich
reißt es pünktlich hinter Zell am See auf und der Blick
wird frei auf die hohen Tauern. An der Mautstation zur Großglocknerstraße
dann eine Enttäuschung: Für Motorräder ist die
Straße noch gesperrt, weil es oben "noch eisig"
sei. Mein Protest gegen diese Bevormundung bleibt ohne Erfolg,
mindestens eine Stunde warten, wie mir empfohlen wird, kommt nicht
in Frage: warten doch noch andere schöne Straßen an
diesem Tag. Also umkehren und die parallel verlaufende langweiligere
Felbertauern-Straße genommen, um über Lienz in die
Dolomiten zu gelangen. Nach Innichen bietet das 1529 m hohe "Gemärk"
einen ersten Vorgeschmack auf die Pässe, die folgen - zunächst
der Falzarego-Paß mit 2105 m. Mittlerweile ist es 12.30
Uhr, die richtige Zeit, um in Arabba einen Cappuccino und Tiroler
Speck zu genießen. Den Rücken an der warmen Hauswand,
das Gesicht in der Sonne, dazu Dolomitenpanorama - in solchen
Augenblicken könnte die Zeit stehen bleiben. Doch es warten
noch Pordoijoch (2239 m) und Sellajoch (2214 m), die mit zum grandiosesten
gehören, was die Alpen landschaftlich wie fahrerisch zu bieten
haben.
Über St. Ulrich und Brixen geht es anschließend nach Sterzing und
hinauf auf den 2094 m hohen Jaufenpaß. Die Paßhöhe
ist der richtige Ort für einen weiteren Cappuccino, bevor
es wieder hinunter nach St. Leonhard und gleich wieder hinauf
aufs Timmelsjoch geht - mit 2497 m der höchste Paß
für heute. Aber nicht der letzte: Am Ende des Ötztals
geht es über Imst direkt zum Hahntennjoch (1884 m), der letzte
Leckerbissen für diesen Tag. Hinter Füssen wird noch schnell
Neuschwanstein abgelichtet, dann die letzten 30 Kilometer bis
Hohenfurch, die dortige Unterkunft kannte ich noch von der Gardaseetour.
Die Borduhr zeigt 18.30 Uhr, als ich den Motor abstelle, ziemlich
genau zehn Stunden war ich also unterwegs, der Kilometerzähler
zeigt 676 Kilometer mehr als heute Morgen. Ein herrlicher Tag,
aber in dieser Form nur geübten Motorradfahrern zur Nachahmung empfohlen.
Die Täler des Allgäu sind nebelverhangen, als ich am
Sonntag den Heimweg antrete. Erst auf der schwäbischen Alb
habe ich strahlenden Sonnenschein, der mich die ganze Strecke
durch fränkische Weinberge und Spessart begleitet. In Bad
Brückenau begebe ich mich schließlich auf die Autobahn,
um die letzten 100 Kilometer abzuspulen. Nach genau 2002 Kilometern
stelle ich die GS in die Garage, mein Alpenhunger ist fürs
erste etwas beruhigt.
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