Alpenglühen 1998

©Achim Lerch 1998.

Dieser Bericht erschien im Juni 1999 in den regionalen Motorradmagazinen Kradblatt und Bremer Motorradanzeiger.

Kritik, Anregungen: lerch@wirtschaft.uni-kassel.de


Intermot und Alpen-Kurztrip

Mein Alpenhunger für dieses Jahr war einfach noch nicht gestillt: Die Gardasee-Tour ist mehr oder weniger im Schnee versunken, die Stella Alpina mußte seit sechs Jahren erstmals ohne mich stattfinden, und die Rückfahrt von der Frankreichtour hat nur noch mehr Appetit gemacht. Ein Tag Urlaub wäre noch drin, und September ist immer ein guter Monat für die Alpen. Außerdem findet in München die Intermot statt - was läge also näher, als einen Messerundgang mit einer kleinen Alpentour zu verbinden? Die Meteorologen versprechen auch endlich ein Ende des Dauerregens, also wird am Freitag den 18.9. das Motorrad bepackt und um 8.00 Uhr starte ich vor der heimischen Garage. 500 Kilometer und einen kleinen Stau später lenke ich die GS auf den Motorradparkplatz an der neuen Messe München und betrete um 12.30 Uhr die Ausstellung. Bei den (Reise-) Enduros gibt es nicht furchtbar viel neues. BMW bietet die GS jetzt auch mit dem 850er Motor an, Triumph hat die Tiger gründlich renoviert und Honda enttäuscht viele Africa-Twin Fans: Statt einer stärker motorisierten Enduro liefern die Japaner mit der Varadero einen Straßentourer mit dem VTR-Motor: Gußfelgen und minimale Federwege laden kaum zu größeren Pistenabenteuern ein.

Als ich der Messe den Rücken kehre und München in südöstlicher Richtung verlasse, fängt es immer stärker an zu regnen. Der Tegernsee liegt im grauen Wolkendunst und die Segelboote dümpeln traurig im Hafen. Ich stärke mich in einem kleinen Café, und die Katze, die zusammengerollt vor dem Ofen liegt, wirft mir gelangweilt-mitleidige Blicke zu, als ich Handschuhe und Halstuch zum Trocknen ausbreite. Sudelfeld, Tatzelwurm - von der Landschaft ist wenig zu sehen, doch dafür herrscht wenig Verkehr. Schließlich hat der Gasthof Schneitzlreuth ein Zimmer für mich, und gerade heute findet der jährliche Leberkäse-Schmaus statt. Fünf Sorten der selbstgemachten deftigen Kost gibt es zu bayerisch Kraut und Semmel, dazu volkstümliche Live-Musik. Mein preußischer Magen braucht hinterher etwas Verdauungshilfe in Form eines Obstlers.

Als ich am nächsten Morgen gegen 8.30 Uhr starte, ist der Himmel noch von hochnebelartiger Bewölkung bedeckt - normalerweise kein schlechtes Zeichen an einem Septembermorgen. Tatsächlich reißt es pünktlich hinter Zell am See auf und der Blick wird frei auf die hohen Tauern. An der Mautstation zur Großglocknerstraße dann eine Enttäuschung: Für Motorräder ist die Straße noch gesperrt, weil es oben "noch eisig" sei. Mein Protest gegen diese Bevormundung bleibt ohne Erfolg, mindestens eine Stunde warten, wie mir empfohlen wird, kommt nicht in Frage: warten doch noch andere schöne Straßen an diesem Tag. Also umkehren und die parallel verlaufende langweiligere Felbertauern-Straße genommen, um über Lienz in die Dolomiten zu gelangen. Nach Innichen bietet das 1529 m hohe "Gemärk" einen ersten Vorgeschmack auf die Pässe, die folgen - zunächst der Falzarego-Paß mit 2105 m. Mittlerweile ist es 12.30 Uhr, die richtige Zeit, um in Arabba einen Cappuccino und Tiroler Speck zu genießen. Den Rücken an der warmen Hauswand, das Gesicht in der Sonne, dazu Dolomitenpanorama - in solchen Augenblicken könnte die Zeit stehen bleiben. Doch es warten noch Pordoijoch (2239 m) und Sellajoch (2214 m), die mit zum grandiosesten gehören, was die Alpen landschaftlich wie fahrerisch zu bieten haben.

Über St. Ulrich und Brixen geht es anschließend nach Sterzing und hinauf auf den 2094 m hohen Jaufenpaß. Die Paßhöhe ist der richtige Ort für einen weiteren Cappuccino, bevor es wieder hinunter nach St. Leonhard und gleich wieder hinauf aufs Timmelsjoch geht - mit 2497 m der höchste Paß für heute. Aber nicht der letzte: Am Ende des Ötztals geht es über Imst direkt zum Hahntennjoch (1884 m), der letzte Leckerbissen für diesen Tag. Hinter Füssen wird noch schnell Neuschwanstein abgelichtet, dann die letzten 30 Kilometer bis Hohenfurch, die dortige Unterkunft kannte ich noch von der Gardaseetour. Die Borduhr zeigt 18.30 Uhr, als ich den Motor abstelle, ziemlich genau zehn Stunden war ich also unterwegs, der Kilometerzähler zeigt 676 Kilometer mehr als heute Morgen. Ein herrlicher Tag, aber in dieser Form nur geübten Motorradfahrern zur Nachahmung empfohlen.

Die Täler des Allgäu sind nebelverhangen, als ich am Sonntag den Heimweg antrete. Erst auf der schwäbischen Alb habe ich strahlenden Sonnenschein, der mich die ganze Strecke durch fränkische Weinberge und Spessart begleitet. In Bad Brückenau begebe ich mich schließlich auf die Autobahn, um die letzten 100 Kilometer abzuspulen. Nach genau 2002 Kilometern stelle ich die GS in die Garage, mein Alpenhunger ist fürs erste etwas beruhigt.


Hier noch einige Fotos:



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