Weserbergland 2005

©Achim Lerch 2006.

Kritik, Anregungen: webmaster@kradventure.de


Wie neu geboren...

Eine Weserreportage von Achim Lerch (Text u. Fotos) und Calvin Lerch (Fotos)

Es ist die alte Geschichte vom Entstehen und Vergehen, der ewige Kreislauf des Lebens: Zwei Küssende, die in einem reißenden Strudel der Leidenschaft regelrecht miteinander verschmelzen, dabei sich selbst vergessend ihre individuelle Existenz einbüßen, um sogleich als Einheit, größer und mächtiger als zuvor, wiedergeboren zu werden. So geschieht es mit Fulda und Werra in Hannoversch Münden, wo aus ihrem Zusammenfluss die Weser entsteht. Wobei das Bild mit der Wiedergeburt ausgezeichnet zu diesem Fluss passt. Denn wie kein anderer europäischer Strom ist die Weser verbunden mit jener Epoche des Wiederauflebens von Kultur und Wissenschaft im Übergang vom „finsteren“ Mittelalter in ein Zeitalter der Aufklärung, die mit dem französischen Wort für Wiedergeburt bezeichnet wird – der Renaissance. Etwa ein Jahrhundert lang, von 1520 bis 1620, blühten an der Weser Kultur und Wirtschaft, bescherten der Region Reichtum durch den Verkauf von Getreide in andere europäische Länder, die unter Missernten und Kriegswirren litten. Dieser Reichtum ermöglichte eine rege Bautätigkeit, lockte namhafte Baumeister aus ganz Europa an und ließ in dieser Zeit so viele Renaissance-Bauten entstehen, dass Ihnen heute mit der Straße der Weserrenaissance eine eigene touristische Route gewidmet ist.

Ein wenig wie eine Wiedergeburt, jedenfalls aber stark verjüngend und die eigene Kindheit wieder aufleben lassend, wirkt auch diese Spätsommertour, die der Weser und dem sie umgebenden Bergland gewidmet ist, auf mich. Was vor allem daran liegt, dass mich mein Sohn begleitet. Mit mir auf das Innigste verbunden durch die verzwickten, zuweilen spannungsreichen, überwiegend aber harmonischen und vor allem liebevollen familiären Bande, die eine Vater-Sohn-Beziehung eben so kennzeichnen. Und natürlich durch den Rahmen des Schwenker-Gespanns, der aber nicht halb so kompliziert konstruiert ist.

Unsere Tour startet dort, wo es auch die Weser selbst tut: am Weserstein in Hannoversch Münden, der den Zusammenfluss von Fulda und Werra markiert und poetisch kommentiert. Von hier bis nach Veckerhagen ist es nur ein kurzes Stück, wir überqueren die Weser auf der Fähre nach Hemeln, eine von vielen Gierfähren an diesem Fluss. Die Zeit der Überfahrt ist leider zu knapp, um Sohnemann diese zeitlos moderne und umweltfreundliche Technik wirklich abschließend erklären zu können. Das Gasthaus zur Fähre am jenseitigen Ufer, ein über die Grenzen der Region bekannter Motorradtreffpunkt, lassen wir heute links (oder genauer: rechts) liegen, unser nächster Halt ist das ehemalige Benediktiner-Kloster Bursfelde. Der überlebensgroße Jesus am Kreuz in der romanischen Klosterkirche gibt Gelegenheit zur Diskussion eines anderen Vater-Sohn-Verhältnisses: Warum, so fragt der Sechsjährige neben mir sehr naheliegend, lässt Gott seinen eigenen Sohn einen so grausamen Tod sterben? Wie soll man da als Agnostiker antworten? Theologisch, dass Jesus für uns am Kreuz starb, dabei unser aller Sünden auf sich nahm? Philosophisch, mit Schopenhauer und Nietzsche, über die Grausamkeit eines angeblich gütigen Gottes räsonieren? Während der Vater darüber noch grübelt, hat Filius zum Glück längst eine Ablenkung gefunden...

Religionsgeschichtliches beschäftigt uns dann einige Flussbiegungen später abermals in Bad Karlshafen, wo ich mich verzweifelt abmühe, kindgerecht über Hugenotten, ihre Verfolgung im Frankreich des 17. Jahrhunderts und ihr Asyl in Hessen unter Landgraf Carl zu dozieren. Mein Sohn bewundert davon ungerührt die riesigen Karpfen in dem großen Teich, der Teil der barocken Architektur der Stadt ist und eigentlich das erste Teilstück eines nie fertig gestellten Kanals darstellt: Der rührige Landgraf wollte dadurch die Weser mit dem Rhein verbinden, um so das Stapelrecht im damals welfischen Hannoversch Münden zu umgehen.

Wir umgehen derweil die B83 und erklimmen von Bad Karlshafen aus auf einem kleinen Sträßchen den Drei-Länderblick. Nach Niedersachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen kann man von hier oben schauen, und auch die Weser sieht man im Tal in der Sonne glitzern. Diese treffen wir dann nach ein paar schönen Kurven in Lauenförde wieder. Zu Zeiten, als man andernorts noch vielfach bedauernd abgewiesen wurde, wenn man im staubigen Leder an einer Hotelrezeption um ein Zimmer bat, entstand hier Deutschlands erstes Hotel nur für Motorradfahrer. Die Villa Löwenherz wurde schnell zur Institution in der kradfahrenden Zunft, und zum Vorreiter einer Entwicklung, der wir heute eine Vielzahl motorradfahrerfreundlicher Hotels verdanken. Wir brauchen heute, noch früh am Tage, kein Zimmer, reisen ohnehin mit dem Zelt, und halten deshalb erst wieder bei Höxter an einem der bekanntesten und meist frequentierten Bauwerke an der Weser: Kloster Corvey, lange vor der Renaissance im Jahr 822 auf Veranlassung Ludwig des Frommen gegründet, und das zugehörige Schloss, die gemeinsam zur Registrierung als Weltkulturerbe bei der UNESCO vorgeschlagen sind.

Wir - beide Bücherfans – bewundern vor allem die fürstliche Bibliothek mit ihrem mehr als 75.000 Bände umfassenden Bestand alter Schätze der Buchdruckerkunst. Herr über diese Bücher war übrigens für geraume Zeit kein geringerer als August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der von 1860 bis zu seinem Tod 1874 Bibliothekar auf Schloss Corvey war. Zwar kann mein Sprössling weder mit diesem Namen noch mit dem Lied der Deutschen etwas anfangen, aber einige seiner Werke kennt natürlich auch er schon – wie wohl jedes Kind: Die Lieder von den Vögeln, die alle schon da sind, vom Kuckuck, der aus dem Wald ruft, vom Männlein, das in selbigem steht, vom summenden Bienchen und natürlich vor allem vom Weihnachtsmann, der morgen kommt.

Doch langsam, bis Dezember ist es noch lang, und nach so viel Kultur steht uns der Sinn nach sommerlichem Kurvenspaß, und da bietet sich nach einem Abstecher zur Tonenburg, früher als Vorwerk zu Corvey gehörig und heute als Motorradhotel bekannt, der Weg hinauf zum Köterberg an. Heute, mitten in der Woche, ist wenig los am bekannten Motorradtreff, wir genießen in Ruhe ein Eis und die Aussicht ins Weserbergland und bis hinüber zum Eggegebirge. In Polle hat uns dann die Weser wieder, und in Bodenwerder, eines von vielen Fachwerk-Kleinoden an ihrem Ufer, statten wir dem dort gebürtigen Lügenbaron einen Besuch ab: Am markanten Münchhausenbrunnen mit dem halben Pferd kann man trefflich pädagogisch zu wirken versuchen und über Lüge und Wahrheit debattieren. Mir scheint allerdings, dass weniger die moralischen Implikationen als vielmehr die phantastischen Abenteuer in den Münchhausengeschichten bleibenden Eindruck hinterlassen – vor allem die Vorstellung eines Ritts auf der Kanonenkugel fasziniert den Knaben, dem die Fahrt im Beiwagen dagegen fast langweilig erscheinen muss. Nichts desto trotz: an das Thema Ehrlichkeit und Redlichkeit kann man ein Stück flussabwärts in Hameln wieder wunderbar anschließen: Schließlich war es ja der ruchlose Vertragsbruch der geizigen Hameler Bürger, der den Rattenfänger ihre Kinder rauben ließ. So ist dann diese berühmte Sage, immerhin in 30 Sprachen übersetzt und Standardunterrichtsstoff in vielen Ländern, die passende Gute-Nacht-Geschichte am Abend, als unser Zelt in Hameln direkt am Weserufer steht.

Am nächsten Morgen werden wir der Weser dann wieder untreu, gestatten uns einen weiteren Seitensprung hinauf zur Schaumburg, die einem ganzen Landstrich ihren Namen gibt. Die Aussicht vom Turm rechtfertigt den schweißtreibenden Aufstieg allemal, und mein Sohn liebt alte Burgen. Kurz hinter Rinteln nutzen wir den Schatten uralter Ulmen zu einer ausgiebigen Mittagsrast am Weserstrand, einer jener Momente, in denen die Zeit gerne auch einmal still stehen dürfte. Ein Schild am Wegesrand und eine alte Windmühle bei Eisbergen zeigen uns kurz darauf, dass wir uns für einen Moment auf der Westfälischen Mühlenstraße befinden, dann nähern wir uns auch schon der Porta Westfalica. Schon von weitem erblickt man das monströse Kaiser-Wilhelm-Denkmal, dem wir sogleich einen Besuch abstatten. Bisher kannte mein Beifahrer durch die Lektüre von Asterix-Comics nur den römischen Kaiser, und er fragt mich wissbegierig, ob nun dieser Wilhelm, der hier in majestätischer Pose vor ihm auf dem Sockel steht, oder Julius Cäsar der größere Herrscher gewesen wäre. Eine interessante Frage, die man vielleicht einmal mit einem Historiker diskutieren müsste. Für den Moment drücke ich mich um die Antwort, indem ich einen Eis-Kiosk ansteuere...

Nachdem sich die Weser durch die enge Porta Westfalica gezwängt hat, stellt sich ihr auf ihrem weiteren Weg zum Meer kein wesentliches Hindernis mehr in den Weg: durch das flache Land der norddeutschen Tiefebene fließt sie bis Bremerhaven. Für uns ist es dagegen an der Zeit, auch die kulturellen Bedürfnisse eines Sechsjährigen zu berücksichtigen, deshalb wenden wir uns wieder von der Weser ab und dem Steinhuder Meer zu. Dort, in Münchehagen bei Loccum, hat nämlich rund um die Fundstelle einiger Saurierspuren ein Dino-Park seine Pforten geöffnet, und das ist genau das richtige für meinen kleinen Hobby-Paläontologen. Die Eintrittspreise scheinen übrigens vom Seismosaurus inspiriert, dessen Figur von wahrlich gigantischen Ausmaßen einen der Höhepunkte in diesem Park darstellt. Es sei der Fairness halber aber eingeräumt, dass auch wirklich einiges insbesondere für Kinder geboten wird, die nicht nur schauen, sondern bei zahlreichen Aktivitäten auch selbst tätig werden können - Erlebnispädagogik nennt man das wohl heutzutage. Und während mein Sohn fleißig Fossilien aus dem Kalkstein hämmert, können wir unter dem Dach der "Aktivitätshalle" gelassen dem prasselnden Gewitterregen zuhören. Als der vorbei ist, finden wir schließlich in Mardorf einen Campingplatz direkt am Steinhuder Meer, und das Rotbarschfilet im "Lütjen Mardorf" schmeckt später am Abend ganz ausgezeichnet.

Mein Stammhalter sorgt sich offensichtlich um meine Kondition und verordnet mir am nächsten Morgen Frühsport in Form einer Tretbootfahrt auf dem Steinhuder Meer. Die Mücken im Uferschilf freut´s, sie scheinen auf ein solch leckeres Frühstück nur gewartet zu haben. Dann doch lieber wieder Motorrad fahren, zurück ins Weserbergland. Wir steuern den Naturpark Solling-Vogler mit seinen ausgedehnten Wäldern und kurvigen Sträßchen an, über Wunstorf, Bad Münder und Stadtoldendorf entlang des Höhenzuges des Deister, und vorbei an zahlreichen frisch abgeernteten Getreidefeldern, die gülden in der Spätsommersonne leuchten. Nach einem Eis in Dassel tauchen wir dann vollends ein in das Schattenreich des Mischwaldes, unter dem sich mächtige Farne ausbreiten. Eine Rast legen wir am Ufer des Neuen Teiches ein, der seinem Namen zum Trotz gar nicht so neu ist. Bereits im Jahr 1737 wurde das Gewässer als Flößteich künstlich angelegt. Schon damals wurde nämlich der Rohstoff des Solling, das Holz, bis nach Hannover transportiert, auf dem Wasserweg über Ilme und Leine. Die Nacht verbringen wir in Hardegsen, das Sohnemann vor allem wegen des kleinen Wildparks mit Streichelzoo in Erinnerung bleiben dürfte.

Ein Abstecher am nächsten Tag bringt uns nach Holzerode, wo Kai Hobein mittelalterliche Waffen und Rüstungen schmiedet. Selige Kindheit, in der man jeden Tag etwas anderes sein kann: So wird aus dem kleinen Paläontologen von vorgestern angesichts der in der Scheune ausgestellten Eisenwaren schnell ein waschechter Ritter, der nur ein wenig enttäuscht ist, dass sein sturer Vater ihm keines der handgeschmiedeten Schwerter kaufen will. Die seien schließlich viel authentischer als das blöde Holzschwert daheim. Über Uslar erreichen wir bei Gieselwerder schließlich wieder die Weser, überqueren sie diesmal auf einer Brücke und kehren ihr schon gleich wieder den Rücken – endgültig für diese Tour. Der Reinhardswald spendet uns willkommenen Schatten bei dieser ungewöhnlichen Septemberhitze, und bei Trendelburg meinen wir schon, einer Fata Morgana zur erliegen: doch die Kamele auf der Weide sind echt und werden vor allem vom Junior freudig begrüßt. Und einen letzten Gruß an die Weser geben wir schließlich noch der Diemel mit auf ihren Weg nach Bad Karlshafen: Dort werden die beiden Flüsse sich treffen, wird die Diemel ihren Namen und ihre Existenz einbüßen, um in der Weser wiedergeboren zu werden. Es ist die alte Geschichte vom Entstehen und Vergehen.

Dokumentation:

Allgemeines:

Die Weser zählt mit 477 Kilometern Länge zu den größten Flüssen Deutschlands. Sie entsteht in Hannovers Münden durch den Zusammenfluss von Fulda und Werra und mündet bei Bremerhaven in die Nordsee. Ihr Lauf kann in zwei wesentliche Abschnitte unterteilt werden: einen ersten durch große, bergige Waldgebiete, wie Reinhardswald, Bramwald, Solling, Wiehengebirge (zusammen auch als Weserbergland bezeichnet) bis zur Porta Westfalica (dieser Abschnitt war Ziel der beschriebenen Tour) und einen zweiten von der Porta Westfalica durch die norddeutsche Tiefebene bis zum Meer. Offiziell spricht man auch von der Oberweser (bis Minden), der Mittelweser (bis Bremen) und der Unterweser (bis zur Mündung in Bremerhaven). Im Weserbergland findet sich eine Vielzahl schöner kurvenreicher Motorradstrecken. Auch führen gleich vier touristische Routen durch das Weserbergland: Neben der Straße der Weserrenaissance die Deutsche Märchenstraße, die Fachwerkstraße und die Westfälische Mühlenstraße.

Anreise:

Der Ursprung der Weser und Startpunkt der Tour, Hannovers Münden, ist am schnellsten über die A 7 zu erreichen. Falls man die Tour an der Porta Westfalica beginnen will, erreicht man diese über die A 2.

Sehenswürdigkeiten:

Das gesamte Weserbergland bietet eine schier unerschöpfliche Fülle an Sehenswürdigkeiten. Neben den zahlreichen Renaissancebauwerken, Schlössern Burgen und Klöstern auch viele Museen, wie z.B. das Münchhausenmuseum in Bodenwerder, das Hugenotten-Museum in Bad Karlshafen oder das Hubschraubermuseum in Bückeburg. Eine Übersicht über alle Sehenswürdigkeiten inkl. Öffnungszeiten und Adressen liefert die Broschüre „Tipps für Entdecker im Weserbergland“ (Bezug über Weserbergland-Tourismus e.V., siehe Adressen). Wer mit Kindern unterwegs ist, der sollte vielleicht einen Tag für den Dino-Park in Münchehagen bei Loccum am Steinhuder Meer einplanen und dort eine Wanderung durch die Erdgeschichte unternehmen.

Unterkunft:

An Übernachtungsmöglichkeiten für jeden Geschmack ist im Weserbergland kein Mangel, auch speziell für Motorradfahrer. So findet sich in Lauenförde mit der Villa Löwenherz Deutschlands erstes Motorradhotel (Würgasser Str. 5, 37697 Lauenförde, Tel. 05273/7567, E-mail: postfach@villa-loewenherz.de, www.villa-loewenherz.de), etwas weserabwärts in Höxter-Albaxen die Tonenburg, (37671 Höxter-Albaxen, Tel. 05271/921182, E-mail: pirone@tonenburg.de, www.tonenburg.de). Weitere speziell auf Motorradfahrer eingestellte Häuser sind das Café Pause in Bodenwerder (Am Weserufer 8, 37619 Hehlen-Daspe, Tel. 05533/934701, E-mail: info@cafe-pause.com, www.cafe-pause.com), das Hotel Der Waldkater in Rinteln (Waldkaterallee 27, 31737 Rinteln, Tel. 05751/17980, E-mail: info@waldkater.com, www.waldkater.com) und die Landherberge Ottenstein (Breite Straße 38, 31868 Ottenstein, Tel. 05286/221, www.landherberge-ottenstein.de). Auch Campingplätze finden sich entlang der Weser zahlreich.

Adressen:

Weserbergland Tourismus e.V.Postfach 10 03 3931753 HamelnTel.: 05151/9300-0Fax: 05151/9300-33Internet: www.weserbergland-tourismus.deE-mail: info@weserbergland-tourismus.de

Literatur und Karten:

Generalkarte Großblatt 3, Literatur: HB-Bildatlas Weserbergland, Straße der Weserrenaissance, Verlag C.W. Niemeyer, Hameln.Internet: www.weserbergland.com



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