Betreff: Böhmerland, Napoleon III und Flammkuchen Von: Achim Lerch Datum: Tue, 14 Apr 2009 10:59:12 +0200 Newsgruppen: de.rec.motorrad Der Boxer ist noch gar nicht warm, als wir am Sonntagmorgen auf dem Weg in die Vogesen am Schloss Wilhelmshöhe in Kassel vorbeirollen, das keine 5 km von unserer Haustür entfernt liegt. Die direkte historische Verbindung des wohlbekannten Bauwerkes zu unserem Ziel ist mir dabei gar nicht bewusst, meine Gedanken kreisen voller Vorfreude um K.u.K. (Kurven und Kulinarisches), und nicht um den deutsch-französischen Krieg oder Napoleon III. Für Autobahnen ist in diesen Tourplänen auch kein Platz, also wird die A5, die uns in wenigen Stunden bis an den Rand der Vogesen führen würde, tunlichst gemieden und stattdessen über Landstraßen durch die Schwalm der Vogelsberg angesteuert. Kurviger Auftakt am Schottenring, erste Rast am Falltorhaus. Dann raus aus dem Vogelsberg, hinein in den Spessart, Kaffeepause am Waldhaus Engländer. Mächtig was los bei diesem schönen Wetter. Wobei es sich gerade, als ich das denke, etwas zuzieht und wir bei der Weiterfahrt in Richtung Main einen Regenschauer erdulden müssen. Es sollten zum Glück die letzten Tropfen dieser Tour werden. Wassertropfen, versteht sich. Das Visier ist dann auch längst getrocknet, als wir den Odenwald und damit unser Tagesziel erreichen. Beim Frühstück gibt uns der Wirt vom Haus Odenwald (http://www.pension-haus-odenwald.de/) noch einen diabolischen Streckentip für den Weg nach Sinsheim: durch Unter- und Oberhöllgrund. Der Eintrittspreis im Auto- und Technikmuseum in Sinsheim ist dann auch "höllisch", aber es wird auch wirklich einiges geboten! Concorde und Tupolev TU 144 sind zwar die weit sichtbaren Publikumsmagneten, aber die Highlights für den Kradler stehen vertsreut und manchmal beinahe versteckt in den weitläufigen, liebevoll dekorierten Hallen: Von A wie Adler bis Z wie Zündapp findet man reichlich zwei- und dreirädrige Exponate, darunter so seltene Raritäten wie die viersitzige Böhmerland. Gut, dass wir die heutige Etappe bewusst kurz geplant haben, so haben wir ausgiebig Zeit für das Museum. Der weitere Weg führt uns durch den Kraichgau, und nachdem das Navi mich direkt durch Gondelsheim führt, machen wir einen ungeplanten Zwischenstop bei Ralph Kalich, dem Erbauer unseres Schwenkergespanns. Nachdem dann der Rhein bei Leopoldshafen per Fähre überquert ist und wir den Rheinebene-Hitzestau mit einem Eisbecher gekühlt haben, ist unser Etappenziel in den Nordvogesen, das Hotel Chateau de Windstein (http://www.hotelduwindstein.com/), bald erreicht. Lammhaxe in Rosmarin-Knoblauchsauce und eine Forelle, die noch am Morgen im Bach hinter dem Hotel schwamm, runden diesen zweiten Tourtag auf das vortrefflichste ab. Bis nach Bitche ist es von Windstein nur ein Katzensprung, der aber einer Zeitreise von fast 140 Jahren gleichkommt. Der Wahnsinn des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 wird bei einer Führung durch die Zitadelle geschickt, z.T. recht drastisch vermittelt. Vor allem der Wahnsinn von Louis-Casimir Teyssier, der sich noch weigerte zu kapitulieren, als Napoleon III sich schon längst im Arrest in Schloss Wilhelmshöhe in Kassel befand. Erst einen Monat nach dem Vorfrieden von Versailles hatte dieser Wahnsinn ein Ende, und mit dem ehrenhaften Abzug hatte Teyssier nicht mehr erreicht, als ihm die bayerischen Truppen schon zu Beginn der Belagerung angeboten hatten. Nun aber um den Preis vieler unnötiger Toter. Dass in der filmisch inszenierten Geschichtsstunde in Bitche Teyssier als tragische Figur dargestellt, und nicht als heldenhafter Kommandant einer uneinnehmbaren Festung gefeiert wird, beeindruckt und stimmt hoffnungsvoll. Das deutsch-französische Verhältnis hat sich wirklich grundlegend gewandelt! Man ist dann nach dem Gang durch die Katakomben jedenfalls froh, wieder ans frühlingsmilde Tageslicht zu gelangen und neben der Trikolore die Europafahne friedlich über der Zitadelle wehen zu sehen. Zeit für eine französische Brotzeit mit Baguette und Käse am Ufer des "Etang de Baerenthal", nur eines von vielen urigen Bachtälern hier im Naturpark Nordvogesen. Noch etwas Kurvenräubern, noch ein Eis in Niederbronn-les-Bains, dann ist es auch schon beinah Zeit, sich auf das Abendessen vorzubereiten: für heute haben wir Elsässer Flammkuchen bestellt - und werden nicht enttäuscht. Ein wenig enttäuschend dagegen der Blick aus dem Fenster am nächsten Morgen: bedeckter Himmel; Vorhersage "wechselhaft", sagt uns der Wirt beim Frühstück. Egal, auf geht's - und auf geht auch der Himmel, kaum dass wir losgefahren sind. Kurze Schrecksekunde in Phalsbourg, als zwei Moto-Flics an der Ampel hinter uns halten und intensiv das Gespann betrachten. Wird ihnen auffallen, dass der Hinterreifen doch mehr und schneller an Profil verloren hat, als von mir veranschlagt? Nein, sie interessieren sich anscheinend mehr für die Konstruktion des Schwenkers und biegen an der nächsten Kreuzung ab. Na dann, auf zum Col du Donon, noch etwas mehr vom Profil abfeilen... Zum Wandern sind wir nicht hier, aber man kann es natürlich auch vortrefflich in den Vogesen, und zumindest einen etwas längeren Spaziergang zur Cascade du Nideck über einen wildromantischen Weg gönnen wir uns - nach dem Gefühl in meinen Füßen allerdings eindeutig oberhalb der empfehlenswerten Motorradstiefeldistanz. So spricht dann alles für etwas "wellness" im Schwimmbad in Niederbronn-les-Bains, bevor am nächsten Tag wieder ein etwas längerer Fahrtag ansteht: den Pfälzer Wald streifend in die Höhen des Hunsrück (Baumholder: schnell durch, keine guten Erinnerungen in olivgrün; zum Glück lange her...), von denen wir uns dann bei Traben-Trarbach wieder hinunter stürzen zur Mosel. Ach, wie herrlich es hier blüht im Moseltal! Obstbäume, Forsythien und die Blume auf dem Pils, das es zur Begrüßung im Gasthaus zu Post in Klotten gibt! (http://www.hotelzurpost-klotten.de/). Dort weiß man nicht nur die Motorräder stilvoll zu beherbergen (im alten Dorfsaal des Hotels), sondern auch vortrefflich mit dem Kochlöffel zu hantieren. Der nächste Tag ist Karfreitag, Sohnemann hat keine Lust auf Moppedfahren, ich selbst gönne mir am Morgen eine kleine Runde durch Moselweinberge um ab Mittag auf der Terasse zu relaxen und dem bunten und lauten Treiben der vielen Ausflügler ganz gelassen aus der sicheren Distanz zuzusehen. Soviel Faulheit macht hungrig, aber dem wissen sie im Gasthaus zur Post angemessen zu begegnen: mit einem wunderbaren Rumpsteak haben sie das passende Tourabschluss-Menü parat. Es folgt noch einmal Moseltal bis Koblenz, dann das Lahntal. Bad Ems, ach ja, hier fing alles an, mit Napoleon III, und Bitche und Teyssier: Mit der Emser Depesche und Bismarcks kleinem redaktionellen Eingriff... Egal: Wir hatten ja K.u.K. gebucht - und bekommen! (einige Bilder, wie schon geposted, hier: http://www.kradventure.de/vogesen09.htm ) -- Achim Lerch www.kradventure.de