Betreff: Warten auf Godot...(lang!) Datum: Tue, 16 Jul 2002 11:43:39 +0200 Von: Achim Lerch Foren: de.rec.motorrad So manches Meisterstück der Weltliteratur erschließt sich dem Leser ja nicht immer unmittelbar. Und ich vermute, ich bin nicht der Einzige, der sich als Schüler mit dem Stück von Samuel Becket herumgeschlagen hat. Doch das Leben ist ja bekanntlich der beste Lehrer, und früher oder später reift Erkenntnis durch Erleben. Wie jetzt auf unserer Alpentour zur Stella Alpina. Aber der Reihe nach: Zur Stammbelegschaft (Frank, Mäcks, Reinhold und meine Wenigkeit) gesellte sich dieses Jahr auch Arend (mein Reisepartner von Libyen und Marokko), den es beruflich nach Holland verschlagen hat und der endlich mal wieder mitfahren konnte. Er traf am Mittwochabend bei mir ein. Donnerstagmorgen ging´s dann in Kassel los, die A7 runter, Mäcks haben wir am Rasthof Illertal aufgegabelt. Über Leutkirch gings dann bis Dornbirn, wo nach dem Tanken Arends GS leider nicht mehr anspringen wollte. Gerade mal 11 V zeigte der IMO, dass die GS schon eine Weile auf Batterie fuhr blieb hingegen dank eines Wackelkontaktes an der Ladekontrollleuchte zunächst verborgen. Nicht weit von Dornbirn findet sich eine BMW-Werkstatt (Schifferer oder so ähnlich, falls hier Ortsansässige mitlesen). Der Meister dort hatte allerdings wirklich viel zu tun, so dass wir selbst geschraubt haben und er uns immer zwischendurch mal mit Rat und Tat zu Hilfe kam. Und zwischendurch immer: Warten. Vor allem auf Erkenntnis. Die Elektrikprofis sind wir alle nicht, und so dauerte es seine Zeit, bis der Lichtmaschinenrotor als Übeltäter ausgemacht war. Dessen Wicklungen müssen übrigens aus purem Gold sein - anders ist der Preis von 250 € (sic!) kaum zu erklären... Insgesamt gut drei Stunden haben wir verloren, also wurde erst noch eine Autobahnetappe bis Chur eingelegt um dann über Oberalppass, Furkapass in´s Rhonetal vorzustoßen und schließlich unser Tagesziel Martigny zu erreichen. Dort auf dem Campingplatz (Les Neuvilles) haben sie leider das Raclette aus dem Programm genommen, so dass wir in der Stadt noch ein spätes Käsefondue genossen haben... Problemloser und früher Start am Freitag: Col de Forclaz, Col de Montets, Chamonix, St. Gervais und dann zum Col du Joly. Hier, auf dem ersten Schotterstück, war Arend - der viel vom Fahren mit leichtem Gepäck hält - nicht mehr zu bremsen. Jedenfalls so lange, bis die GS auf der Seite lag und Öl aus dem Loch im Ventildeckel tropfte. Nachdem ich ja am Vortag schon mit meinem Starthilfekabel als Servicefahrzeug fungieren konnte, war ich auch jetzt dieser Aufgabe gewachsen und zauberte einen Ersatzventildeckel aus dem (daher nicht ganz so leichten) Gepäck. Gehörige Lästerei musste Arend nun allerdings ertragen ;-) Nach einem weiteren Schotterpass (Cormet d´Arèches) ging´s dann nach Bourg St. Maurice und weiter über Col de l´Iseran und Col du Mont Cenis (leider beide mit Rollsplit verunstaltet) nach Susa und Bardonecchia. Es war sogar Zeit, noch etwas Holz zu holen, für den Cappuccino im Bahnhofscafe sowieso. Dann nix wie rauf zum Rifugio Scarfioti. Oben angekommen hatte unser Glückspilz Arend die mitgeführte Holzkohle verloren. Worauf er mehr oder weniger freudig den Rückweg antrat um selbige zu suchen. Als er nach geraumer Zeit immer noch nicht wieder aufgetaucht war, fragten wir Neuankömmlinge nach einer schwarzen GS mit holländischem Kennzeichen um zu erfahren, dass ein solches Mopped mit demontierter Sitzbank und schraubendem Fahrer am Wegesrand stünde. Der selbstgebaute Leichtgepäckträger musste wohl kurzzeitig mit Spanngurten fixiert werden. Ich persönlich halte ja nix von Gewichtsfetischismus und meine, der Originalgepäckträger der alten GS sei nicht zu verbessern, aber diese Diskussion wollte Arend am Abend nicht führen...# Um neue Kohle zu kaufen kam Arend dann übrigens zu spät, der Laden war gerade zu... Grillen konnten wir trotzdem, ich hatte schließlich auch noch etwas Kohle dabei und es wurde dann noch ein schöner Abend am Lagerfeuer. Dass das Gewitter, welches man im Tal beobachten konnte, irgendwann auch die Hochalm erreichen würde war abzusehen, aber da sind wir eh gerade in die Zelte. Ein ziemlich heftiger Schnee/Graupelschauer hat dann leider Reinholds Zelt in die Knie gezwungen, aber das konnte wieder gerichtet werden. Am Samstag dann gemütliches Frühstück und der Plan, nach einem Abstecher zum Colle Rho zunächst die Schleife "Hoch über Bardonecchia" zu fahren, für später standen noch der Jaffereau und/oder die Assietta auf dem Programm. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Auf der Rückfahrt vom Colle Rho (nein, ganz oben waren wir nicht. Das ist für mich eindeutig die Grenze mit der BMW) blieb Reinhold mit der DR 650 nach einem heftigen Schlag stehen: Der Teil des Hinterrades, der das Kettenrad und die Ruckdämpfer aufnimmt (wie nennt man das eigentlich korrekt?) hatte sich in mehrere Einzelteile zerlegt, 5 von 6 Schrauben, die das Kettenrad halten, waren abgerissen. Wir konnten das vor Ort wenigstens soweit richten, dass Reinhold in´s Tal rollen konnte, zu der kleinen Tankstelle an der Piazza Europa (jetzt Tamoil, früher IP, Stella-Besucher werden sie - und vor allem den Pächter - kennen). Und dann: Warten. Auf Godot, darauf, dass die Mittagssiesta der italienischen Suzukihändler vorbei ist, darauf, dass Frank und Mäcks aus Turin zurückkommen, wohin sie per Autostrada geblasen sind, um das dort angeblich vorrätige Ersatzteil zu holen, darauf, dass das italienische Mobilfunknetz endlich in der Lage ist, eine Verbindung herzustellen, darauf, dass Frank und Mäcks den anderen Suzukidealer finden (weil der in Turin das Teil doch nicht hatte), darauf, dass Reinhold beim ADAC mehr erreicht als nur eine Warteschleife, darauf, dass der ADAC, nachdem man jemanden erreicht hat, wie versprochen zurückruft, auf den x-ten Cappuccino, auf den Regen, der sich durch immer dunkler werdende Wolken ankündigt, und auf Godot.... Als Frank und Mäcks endlich (tropfnass, weil es in Turin schon lange geregnet hat, und ohne das erhoffte Ersatzteil) zurück waren, regnete es nun auch in Bardonecchia kräftig. Und es war schon spät, wir hatten Hunger und wolten nach ungezählten Cappuccini endlich ein Bier trinken. In der Spaghetteria reifte dann schnell der Entschluss, nicht mehr zum Rifugio hochzufahren, zumal Reinhold telefonisch erreichbar bleiben musste und es oben keinen Empfang gibt. Also verbrachten wir die Nacht in einer Herberge in einem Vorort von Bardonecchia. Am Sonntagmorgen ging es rauf, Gepäck zusammenpacken (für Reinholds Krempel fand sich zum Glück ein Pickup-Fahrer, der ihn mit in´s Tal nahm). Ich hab´ noch nach Ralf und Phil (bzw. ihren Moppeds) Ausschau gehalten, aber erfolglos (falls Ihr dort wart: Jetzt wisst Ihr, warum ich Samstagabend nicht oben auf der Alm war...). Dann war Trennung angesagt: Frank und Mäcks haben noch Urlaub und weilen wohl gerade an der Cote d´Azur, Reinhold blieb zunächst in Bardonecchia um mit dem ADAC das weitere Vorgehen zu klären und Arend und ich sind über Gallibier, Madelaine und Chamonix wieder nach Martigny. Von dort dann gestern via Col de Mosses, Saanen und Zweisimmen nach Interlaken, von dort bin ich per Dosenbahn heimwärts, Arend nach Schaffhausen zu Freunden. Und jetzt? Warten. Nein, nicht auf Godot. Darauf, dass Arend mir per mail die Fotos schickt, die er mit seiner Digitalknipse gemacht hat.