©Achim Lerch 1997.
Kritik, Anregungen: lerch@wirtschaft.uni-kassel.de
Irland - grüne Insel, schwarzes Bier
Der Wirt betätigt noch einmal den überdimensionalen Zapfhahn und stellt dann das volle Glas vor mir auf die Theke aus dunklem Mahagoni, langsam, von aufwallenden Bewegungen begleitet, bildet sich die Schaumkrone des dunklen Bieres: Guinness. Dieses "schäumende ebenholzfarbene Bier", wie James Joyce es nannte, ist wohl untrennbar mit diesem Land verbunden, Irland und Guinness gehören zusammen wie Bayern und Weizenbier. Glaubt man den Angaben der Brauerei, so kam Arthur Guinness nach zeitraubenden und aufwendigen Versuchen im Jahr 1759 auf die Rezeptur des berühmten Gebräus und leitete damit eine neue Ära in der Geschichte des Gerstensaftes ein. In Irlands Pubs wird freilich auch eine andere Version erzählt: Eines Tages sei dem guten Arthur während des Röstvorgangs die Gerste verbrannt, und "Guinness" war schlicht das Ergebnis des Versuchs, mangels Geld für neue Gerste zu retten was zu retten war und dennoch ein Bier zu brauen.
Wie auch immer, ich nehme einen kräftigen Schluck und beobachte fasziniert, daß der Rand zwischen heller Krone und dunklem Bier nun eine Wölbung aufweist; nicht nur der Geschmack, auch die Konsistenz dieses Bieres ist unverwechselbar. Hier, in "Ryan´s Pub" in Dublin, einem der ältesten viktorianischen Pubs mit (echter) edler Holzeinrichtung, hatten wir vor zweieinhalb Wochen auch den ersten Abend in Irland bei einem Glas Guinness verbracht, voller Erwartung und Vorfreude. Jetzt sitzen wir wieder an der Theke und bedauern nichts mehr, als die morgige Abfahrt unserer Fähre. Ich nehme einen zweiten Schluck, betrachte versonnen den "rubinfarbenen Schimmer" im Glas und versinke in Erinnerungen an die vergangenen Tage...
Nachdem die Fähre aus Rotterdam pünktlich um 8 Uhr in Hull angekommen war, war zunächst etwas Streß angesagt: Es galt, England zügig zu durchqueren und am frühen Nachmittag in Holyhead zu sein, um dort die Fähre nach Dublin zu erreichen. Hier nun, in der Panorama-Lounge der "Isle of Inisfree", begann bei einem half-pint Guinness und Kartoffelchips mit Essiggeschmack der Urlaub so richtig. In Dublin angekommen, half uns ein irischer Motorradfahrer, unser Hotel zu finden und vermittelte uns damit einen ersten Eindruck von dem, was uns den ganzen Urlaub hindurch immer wieder beeindrucken sollte: Die enorme Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Iren. Das "Park-Lodge-Hotel", direkt am riesigen Phoenix-Park gelegen, erwies sich als gute Wahl: Zwar sind Haus und Einrichtung nicht mehr ganz neu, aber gerade dadurch hat das Hotel mit der gemütlichen Bar eine besonders angenehme Atmosphäre. Und Horst Fierenbaum, der Kölner Besitzer, sorgt höchstpersönlich dafür, daß die Motorräder sicher stehen und man in dieser Hinsicht ruhig schlafen kann.
Am nächsten Tag war dann "Sightseeing" in Dublin angesagt. Zunächst informierten wir uns im "Visitor-Center" der Guinnessbrauerei über Geschichte und Herstellung des dunklen Gebräus, im gesalzenen Eintrittspreis war zumindest ein Pint Freibier enthalten. Anschließend stand das "Kilmainham-Jail", ein zum Museum umgebautes Gefängnis, auf dem Programm. Einst als normale Strafvollzugsanstalt gebaut, diente der trutzige Bau später mehr und mehr der Unterbringung politischer Gefangener. So wurden u.a. die führenden Köpfe des Osteraufstandes von 1916 dort eingekerkert und später hingerichtet. Das Gefängnis ist deshalb in besonderer Weise mit der irischen Geschichte verknüpft, die während der Führung mit Filmvorführung nicht nur geballt und fundiert vermittelt, sondern beim Blick in die kahlen Zellen auch ein Stück weit lebendig wird. Nach dem eher beklemmenden kalten Gemäuer kam dann ein Spaziergang auf dem Campus des berühmten Trinity-College gerade recht, hier studierten so berühmte Köpfe wie Edmund Burke, Oscar Wilde oder Samuel Becket. Schließlich flanierten wir noch über die Oconnellstreet, "die" Hauptstraße Dublins, und die gleichnamige Brücke und ließen uns ein Sandwich in einem der zahlreichen Pubs schmecken. Insgesamt gehört Dublin wohl nicht zu den schönsten europäischen Städten - städtebauliche Sünden, wie etwa der Abriß eines kompletten alten Stadtviertels zum Bau einer Schnellstraße, bleiben nicht ohne Folgen für den Gesamteindruck. Trost spenden dafür die freundlichen Dubliner und die gemütlichen Pubs.
Froh, dem morgendlichen Berufsverkehr entkommen zu sein, flüchteten wir uns am nächsten Tag in die südlich von Dublin gelegenen Wicklow-Mountains, so wie es viele Dubliner am Wochenende tun. Ein Abstecher zum Wasserfall von Powerscourt ließ nun erstmals das Irland der Reiseprospekte erahnen: Klares Wasser in sattgrüner Landschaft weckte Erinnerungen an diverse Werbefilme für Butter oder Whiskey. Überhaupt, der Whiskey! Neben Tee und Guinness ist er natürlich das wichtigste irische Nationalgetränk und zu recht weltberühmt. Whiskey kannte man in Irland bereits im 6. Jahrhundert, und damals war der Gerstenschnaps besonders bei den Mönchen beliebt. Deren Vorliebe für das geistige Getränk ging so weit, daß sich der irische Abt Columban schließlich gezwungen sah, drastische Strafmaßnahmen anzudrohen: Konnte ein Priester aufgrund ausgiebigen Whiskeygenusses die "Gebete nur noch lallen", so mußte er zwölf Tage bei Wasser und Brot zubringen. Gar 40 Tage dieser Buße drohten einem Bischof, der "so besoffen war, daß er bei der Messe die Hostie auswürgte".
Echter irischer Malt Whiskey, im Gegensatz zum schottischen mit "e" geschrieben, wird übrigens noch heute ausschließlich aus gemälzter, über dem Torffeuer getrockneter Gerste hergestellt, und nicht etwa aus Maismaische, die mit Malt verschnitten wird. Solcher Fusel, wie er bei uns unter populären Markennamen regen Absatz findet, wäre für jede irische Kehle nur eine Beleidigung.
Unsere Fahrt führte uns weiter über typische, durch mit Brombeerhecken bewachsene Mauern begrenzte Sträßchen in den kleinen Hafenort Wexford im Südosten der Insel. Fahnenschmuck in allen Pubs und Schaufenstern und an den meisten der bunten Häuser zeugte davon, daß der Ort sich komplett im Hurlingfieber befand: Wexford stand im bevorstehenden Finale dieses irischen Nationalsports, den man am ehesten als eine Mischung aus Fußball, Rugby und Hockey umschreiben kann. Als eine Woche später Wexford tatsächlich Hurlingchampion wurde und wir im Fernsehen die Bilder einer Kleinstadt in Ekstase sahen, waren wir direkt froh, uns in sicherer Entfernung zu befinden.
Von Wexford aus ging es über Waterford nach Cork, Irlands zweitgrößte Stadt, und von dort weiter nach Kinsale; wir folgten damit einer Empfehlung von Rory, mit dem wir in Dublin Freundschaft geschlossen hatten. Der malerische Hafenort gilt als die kulinarische Hauptstadt der Insel und man findet zahlreiche erstklassige Gourmet-Restaurants. Unser Budget führte uns allerdings "nur" in den Pub, wo sich das Essen aber auch sehen lassen konnte: Geröstete Entenbrust in Brombeersauce paßt ausgezeichnet zum Guinness! Und als wir noch bei einem "Irish Coffee" (Whiskey, Kaffee und Sahne) unser feudales Mahl verdauten, begannen zwei Iren damit, den bisher ruhigen Pub mit Gitarre und Banjo in Stimmung zu bringen. Spätestens bei "Whiskey in the Jar" war dann der sprichwörtliche "Bär los", und es wurde spät, bis wir ins Bett kamen.
Katerstimmung kam am nächsten Morgen allerdings erst gar nicht auf, dafür sorgte unsere Bed & Breakfast-Wirtin Mary, die uns gut gelaunt das irische Frühstück servierte: Ein Glas Orangensaft, Kaffee oder Tee, "Cereals" (Cornflakes, Müsli oder Porridge), Spiegelei mit knusprig gebratenem Speck, gewöhnungsbedürftigen Bratwürstchen (die wir meistens ausgelassen haben) und einer Grilltomate (manchmal noch Pilzen) und schließlich Toast mit Butter und "marmelade" (bittere Orangenmarmelade) oder "jam" (Konfitüre unterschiedlicher Geschmacksrichtungen). Mit einer solchen Grundlage läßt es sich hervorragend Motorrad fahren, und Hunger stellt sich frühestens am Nachmittag wieder ein.
Den verbrachten wir an diesem Tag in einem kleinen Ort namens Glandore, der uns mit seiner herrlichen Lage oberhalb einer kleinen Bucht bei der Durchfahrt so verzauberte, daß wir eine "unplanmäßige" Übernachtung einschoben. Unser Zimmer bot uns direkten Blick auf die in der Bucht vor Anker liegenden Segelboote, im Garten wachsen dank Golfstrom die Palmen und das Lachssteak im Pub war ausgezeichnet - was will man mehr?
Von nun an wiesen die Straßen auf der Michelin-Karte zunehmend die grüne Markierung für "landschaftlich besonders schöne Strecken" auf, und bei der Fahrt über Bantry und Glengariff nach Kenmare konnten wir dies nur bestätigen. Von Kenmare führt die Straße, die auf diesem Stück bereits zum berühmten "Ring of Kerry" gehört, über "Moll´s Gap" durch die Seenlandschaft des Killarney-Nationalparks nach Killarney. Der Ort selbst fällt vor allem dadurch auf, daß er durch und durch auf Tourismus eingestellt ist und die Iren in den Pubs eindeutig in der Minderheit sind. Trotzdem nutzten auch wir die Stadt als Ausgangspunkt für den "Ring of Kerry" - laut irischer Fremdenverkehrszentrale die schönste Küstenstraße der Insel. Auch wenn dies ein wenig übertrieben ist, schön ist das Sträßchen allemal! Und daß wir den Abschnitt Kenmare - Killarney zum zweiten mal fuhren, störte nicht im mindesten - er ist sicher einer der schönsten.
Womit wir eigentlich schon viel früher gerechnet hatten, stellte sich dann am nächsten Morgen ein: Regen. Es blieb allerdings bei leichtem Sprühregen, und es sollte auch der einzige Tag in der Regenkombi in Irland bleiben - allen Unkenrufen zum Trotz hatten wir mit dem Wetter wirklich Glück! Die Laune ließen wir uns jedenfalls nicht verderben, auch wenn die schöne Aussicht vom Connor-Paß auf der Dingle-Halbinsel von Wolken verschleiert blieb. Nach der Paßabfahrt blinzelte dann bei Stradbally bereits wieder die Sonne durch die Wolken und wir fuhren direkt zum "Stradbally-Strand". An der Einfahrt zum Strand standen keine Verbotsschilder, dafür waren deutliche Spuren von Fahrzeugen zu sehen. Etwas ungläubig und zunächst mit dem schlechten Gewissen des deutschen Motorradfahrers, daran gewöhnt, daß grundsätzlich alles verboten ist, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, fuhren wir auf den Strand. Es machte natürlich mächtig Spaß, im Sand zu fahren, und als wir beruhigt feststellten, daß auch einige Iren mit dem Auto dort fuhren, konnten wir das Vergnügen so richtig genießen. Als wir dann noch am Abend im urgemütlichen Pub von Castlegregory direkt am Kamin saßen, in dem ein gemütliches Torffeuer brannte, und traditioneller irischer Live-Musik lauschten, war der Tag perfekt.
Nach dem üblichen Frühstück entschlossen wir uns am nächsten Morgen, noch einen Tag in Castlegregory zu bleiben und von hier aus nochmals den Connor-Paß zu fahren sowie auf dem Slea-Head-Drive die Westspitze der Dingle-Halbinsel zu umrunden. Das Wetter spielte diesmal mit und ließ uns die Aussicht vom Paß wenigstens durch einige Wolkenlücken genießen, am Slea Head mußten wir allerdings mit Nebel vorliebnehmen. Zurück auf der Nordseite der Halbinsel lud dann strahlender Sonnenschein zu einem (kurzen) Bad im Atlantik ein.
Zum touristischen Pflichtprogramm einer Irlandreise zählt sicherlich der Besuch der "Cliffs of Moher" - zwar sind die steilen Klippen wirklich sehenswert, doch daß selbst jetzt im September noch so viele Touristen den Weg entlang der Klippen verstopften, hätten wir nicht gedacht. Die Eindrücke des Tages verarbeiteten wir dann im berühmten "O´Conners Pub" in Doolin, unweit der Klippen. Von dort führte unser Weg uns durch das einmalige "Burren-Gebiet" - 26.000 Hektar Sandsteinplateaus, die eine besonders artenreiche Flora und Insektenwelt beherbergen. Botaniker und Schmetterlingsfreunde kommen hier voll auf ihre Kosten, aber auch der in dieser Hinsicht eher unbedarfte Reisende wird den herrlichen Anblick genießen. Die Küstenstraße führt dann weiter über den Black Head nach Ballyvaughan und Kinvarra, von dort ist es nicht mehr weit nach Galway. Das Universitätsstädtchen mit seinen 40.000 Einwohnern zählt zu den Zentren der irischen Folkmusik und seine "Singing-Pubs" sind berühmt. Verkehrschaos und hektischer Trubel schreckten uns allerdings ab, und wir bezogen Quartier im kleinen Städtchen Oughterard, etwa 25 Kilometer nordwestlich von Galway am Lough Corrib gelegen. Von dort führte uns ein Abstecher nach Cong, wo wir eine weitere Erfahrung in Sachen Eintrittsgelder machen durften: Um den mit eigenem Golfplatz ausgestatteten Park von Ashford Castle betreten zu dürfen, war ein Salär von 3 Pfund (also ca. 7,50 DM) pro Nase zu entrichten, worin, entgegen unserer Erwartung, ein Betreten des Schlosses selbst nicht enthalten war. Dies bleibt den Gästen des im Schloß untergebrachten Nobelhotels vorbehalten. Daß wir den Abstecher dennoch nicht bereuten, liegt vor allem an der Landschaft: Die Strecke führte durch ausgedehnte Hochmoore, und der Anblick von blühendem Heidekraut, Torfabstichen und kleinen Seen mit schilfbestandenen Ufern im Morgennebel entschädigte für die Enttäuschung am Ashford Castle. Wir befanden uns mittlerweile im County Connemara, und eine Mischung aus Gebirge und Hochmooren bestimmte von nun an die Landschaft - für mich der schönste Teil Irlands! Nach einer Nacht im hübschen Hafenstädtchen Roundstone ging es zunächst weiter entlang der Küste nach Clifden. In Fahrtrichtung fiel dabei der Blick immer wieder auf die im Hintergrund aufragenden "Twelf Bens". Diese "Zwölf Gipfel" wirken mit ihren etwa 1000 Metern Höhe von Meereshöhe aus betrachtet durchaus beeindruckend. Nach Clifden windet sich dann die N 59 mehr und mehr in die Berge und die "Twelf Bens" rücken immer näher. Weiter geht es durchs Hochmoor, und man kann immer wieder Torfstecher bei der Arbeit sehen. Die Torfklumpen, die mit einem speziellen Spaten, dem "slean", ausgestochen werden, werden zu kleinen Hügeln aufgeschichtet und so getrocknet. Würde der Torfabbau ausschließlich nach dieser jahrhundertealten Technik und nur für das heimische Torffeuer geschehen, bräuchte man sich um die Moore Irlands, die "bogs", wohl keine allzu großen Sorgen zu machen. Wie lange diese einmalige und besonders artenreiche Landschaft aber noch Bestand hat, nachdem nun mehr und mehr Torfabbau im industriellen Maßstab zur Verbrennung in Kraftwerken betrieben wird, ist eine andere Frage.
Die N 59 führte uns weiter, vorbei an der am gleichnamigen See idyllisch gelegenen "Kylemore Abbey" zum "Killary Harbour", einem natürlichen Hafen, der durch einen kilometerlangen Fjord gebildet wird. Nachdem entlang des River Eriff Westport erreicht war, wurde die Strecke bis Sligo eher langweilig, und erst die Tafelberge der "Dartry Mountains" boten dem Auge wieder Abwechslung. Unser Bed & Breakfast suchten wir diesmal in Mullaghmore auf dem Mullaghmore Head. Von hier konnten wir schon beim Abendspaziergang einen Blick aus der Ferne auf die höchsten Klippen Europas werfen, die 600 Meter hohen Slieve League. Um diese zu erreichen, fuhren wir am nächsten Tag zunächst über Donegal nach Killybegs, dem Zentrum der irischen Fischindustrie, was unschwer am Geruch zu erkennen war. Von Carrick aus führt dann eine kleine Straße in engen Kurven steil direkt auf den Rand der Klippen, der Blick von hier oben ist phantastisch. Zurück in Carrick tourten wir dann über den wenig spektakulären Glengesh-Paß nach Ardara, eines der Zentren der irischen Tweedverarbeitung. Zum Kauf eines Mitbringsels in Form von Tweedrock, Jacket oder Mütze konnten wir uns allerdings nicht entschließen. Dafür schmeckte uns an diesem Abend das Guinness in gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre bei "Nancy´s", Irlands kleinstem Pub.
Die Fahrt ging dann weiter über die R 261 bis Maas und von dort auf der schönen und kurvenreichen N 56 bis Dunglow. Nach einem Abstecher über die R 259 bis Crully ging es weiter auf der N 56 mit Blick auf den 752 Meter hohen Errigal Mountain am Rande des Glenveagh-Nationalparks. Bei Cresslough bogen wir dann ab nach Carrigart, wo der "Atlantic Drive" beginnt, ein kleines Küstensträßchen mit immer wieder schönen Aussichten und zahlreichen Rastmöglichkeiten in kleinen Buchten.
Nach einer Nacht in Rathmelton ging es am nächsten Tag weiter in Richtung Süden. Als plötzlich vor uns eine Kuhherde gemütlich die Straße überquerte, wobei die träge wiederkäuenden Tiere sich kaum um unsere Motorräder kümmerten, kam mir Heinrich Bölls "Irisches Tagebuch" in den Sinn: "In Irland war ich oft versucht zu sagen: Die Straße gehört der Kuh (...) herdenweise nehmen sie die Straße ein, drehen sich hochmütig nach dem hupenden Auto um, und der Autofahrer hat hier Gelegenheit, Humor zu beweisen, Gelassenheit zu üben und seine Geschicklichkeit zu erproben." Natürlich gilt dies gleichermaßen für Motorradfahrer! Während wir uns so durch Kuh- und Schafherden "kämpften", merkten wir zunächst kaum, daß wir eine der umstrittensten Grenzen im Europa des ausgehenden 20. Jahrhunderts überschritten haben - auf kleinsten Nebensträßchen sind wir in Ulster gelandet, jener Provinz Irlands, die unter dem Namen "Nordirland" immer wieder für zumeist unschöne Schlagzeilen sorgt. Pressemeldungen, die man Zuhause kaum mehr registriert, erhalten hier vor Ort eine ganz neue Bedeutung, und man kann mit den Menschen hier nur hoffen, daß die sich seit einiger Zeit abzeichnende Normalisierung von Dauer ist. Die Befestigungsanlagen, Schießstände und automatischen Straßensperren, die uns ein beklemmendes Gefühl vermittelten, als wir Nordirland auf größeren Straßen wieder verließen, gehören dann vielleicht bald ebenso der Vergangenheit an, wie die noch monströseren Grenzanlagen im eigenen Lande.
Nachdem wir Quartier in Slane bezogen hatten, galt es dann anderntags, einen "Kulturtag" zu absolvieren: Zunächst besuchten wir Irlands höchstes Hochkreuz und den Rundturm in Monasterboice. Danach ging es über Drogheda zum steinzeitlichen Ganggrab von Newgrange. Neben den kunstvoll verzierten Monolithen rund um das Grab ist vor allem seine besondere "Beleuchtung" interessant: Ein eigens angelegter Gang läßt das Sonnenlicht nur an den fünf Tagen um die Wintersonnenwende am 21. Dezember für jeweils 17 Minuten kurz nach Sonnenaufgang in die Grabkammer fallen, die dann hell erleuchtet ist. Das Schauspiel wird während der Führung zwar mit elektrischem Licht simuliert, muß aber in natura noch viel beeindruckender sein. Führungen an den fünf fraglichen Tagen sind allerdings für die nächsten neun Jahre ausgebucht. Nach kurzer Visite am "Hill of Tara", dem ehemaligen Sitz der irischen Hochkönige und Scarlett-Fans aus Roman und Film bekannt, präsentierte sich schließlich am Ende dieses Tages die Klosterruine auf dem "Hill of Slane" im stimmungsvoll-melancholischen Abendlicht - passend zu unserer eigenen Stimmung angesichts der Tatsache, daß am nächsten Tag nur noch die kurze "Schlußetappe" nach Dublin zu absolvieren war...
Über die Erinnerung ist das Glas inzwischen leer, Stimmen und Gelächter im sich langsam füllenden Pub holen mich in die Gegenwart zurück, und in dem Bestreben, das Urlaubsende noch ein wenig hinauszuzögern, wende ich mich an den Barkeeper hinter dem Tresen: "Another pint of Guinness, please!"
Achim Lerch
Motorradurlaub in Irland - praktische Tips
Anreise:
Zur Anreise gibt es eine Reihe von Möglichkeiten. Direktfähren
fahren von Frankreich (Le Havre und Cherbourg), ansonsten gibt
es zahlreiche Möglichkeiten, über die "Landbrücke"
England anzureisen. Infos hierzu mit einer Übersicht über
alle Fährverbindungen verschickt die irische Fremdenverkehrszentrale
(siehe Adressen). Die Route Rotterdam - Hull/Holyhead - Dublin
hat pro Person und Motorrad 445,- DM gekostet (Hin- und Zurück,
inklusive Zwei-Bett-Kabine auf der Strecke Rotterdam - Hull).
Momentan wirbt der finanziell angeschlagene Tunnelbetreiber "Le
Shuttle" mit Sonderangeboten - vorher informieren!
Unterkunft und Verpflegung:
Obwohl auch ich ansonsten lieber mit dem Zelt verreise, bietet sich für Irland die landestypische Übernachtungsart an: Bed & Breakfast. Zimmer findet man in jedem Ort, und der höhere Preis (ca. 35,- bis 40,- DM pro Nacht und Nase) relativiert sich, wenn man neben dem Komfort das reichliche Frühstück berücksichtigt. Nachteil der Campingplätze ist auch, daß sie meist außerhalb der Ortszentren liegen. Will man abends im Pub ein Guinness trinken und Musik hören, muß man also noch fahren oder weite Fußwege in Kauf nehmen. Wer vor Schlafsälen nicht zurückschreckt, kann auch in den Independent Hostels (vergleichbar unseren Jugendherbergen) unterkommen. Achtung: B & B niemals über die Tourist-Infos buchen - die schlagen nicht nur ein Pfund Gebühr, sondern nochmals 10 Prozent vom Übernachtungspreis drauf - das kann teuer werden!
Das irische Essen ist besser als sein Ruf, und nach unserer Erfahrung
besser als das englische. Beliebt sind Steaks und Lammfleisch
in allen Variationen, zunehmend auch Fisch. Häufig ißt
man im Pub genausogut wie im Restaurant, aber gemütlicher
und deutlich billiger.
Geld:
Währung ist das irische Pfund (1996 ca. 2,50 DM). Kreditkarten,
Euroschecks und Geldautomat mit EC-Karte in allen größeren
Orten kein Problem.
Motorrad:
Auf der beschriebenen Tour waren wir mit einer BMW R 80 GS und
einer Suzuki LS 650 Savage unterwegs. Dabei erwies sich die Fahrt
mit dem Chopper auf den zumeist ziemlich holprigen irischen Nebenstraßen
als Härtetest für Gesäß und Wirbelsäule
- besser bedient ist man sicher mit einem Tourer mit ausreichend
Federweg, eine Reiseenduro scheint mir für diese Sträßchen
die optimale Wahl. An den Linksverkehr gewöhnt man sich ziemlich
schnell, aufpassen vor allem im Kreisverkehr! Das Tankstellennetz
ist recht dicht, Bleifrei überall zu haben.
Literatur und Karten:
Werner Halmert: Irland Reise-Handbuch aus der Reihe Reise Know-How; gewohnt fundiert und mit ausführlichen Tourenbeschreibungen.
Christoph Potting/Annette Weweler: Anders Reisen Irland; bietet wie von der Reihe Anders Reisen bekannt vor allem viele Hintergrundinformationen zu Geschichte, Politik und Gesellschaft.
Heinrich Böll: Irisches Tagebuch; ein Muß für Irlandfahrer!
Karte: Michelin Irland - mehr braucht es nicht.
Adressen:
Irische Fremdenverkehrszentrale, Untermainanlage 7, 60329 Frankfurt a.M., Tel. 069/236492.
Gaeltacht Irland Reisen (auf Irland spezialisiertes Reisebüro), Schwarzer Weg 25, 47447 Moers, Tel. 02841/35035.
Hier gibt es sieben weitere Fotos der Irlandreise